Hypochonder

Xenologie ist eudaimonisch, weiss das Demostroma*. Doch verzichten wollen wir nicht auf Gräzismen, erheben sie doch jedwedes triviale Gefühl gleichsam auf eine intellektuelle Ebene: Hyper hyper, wie es in der deutschen Lyrik heisst.

Hypochonder sind aber nicht hyper, sondern hypo. Hä?

Hypo ≠ hyper

Das Altgriechische hat zwei Vorsilben, die nur minimal anders klingen, aber maximal entgegengesetzt sind:

  • ὑπέρ hypér- ‚über‘ (verwand mit lat. super, dt. über) < idg. *upo – daher z.B. hyperaktiv, hyperventilieren, Hyperlink (‚mehr als ein Link‘) oder Hype (wohl zu hyperbole ‚Übertreibung‘)
  • ὑπό hypó- ‚unter‘ (verwandt mit lat. sub, dt. ob) < idg. *upó

Kommt hinzu, dass wir im Deutschen -er meist vokalisiert sprechen (als -a oder ähnlich). Wir haben also hüpo und hüpa, betont jeweils auf der ersten Silbe, wodurch die zweite noch weniger klar unterscheidbar ist.

Das Pferd, ἵππος híppos, hat damit übrigens gar nichts zu tun (es geht zurück auf idg. *h₁éḱwos, davon auch lat. equus).

Hypochonder

Nun also zum Hypochonder. Hier haben wir es wieder einmal mit einer Bedeutungsentwicklung zu tun, die nicht auf der Hand liegt. Sie führt in die Tiefen vormoderner anatomischer und medizinischer Vorstellungen.

Das ὑπο-χόνδριον hypo-chondrion bezeichnet grob gesagt den ‚Unterleib‘ (das unter dem χόνδρος chóndros ‚Brustknorpel‘ – wer’s genauer wissen möchte konsultiere Wiktionary). Dort wurde der Ursprung von Gemütskrankheiten vermutet. Ein Hypochondrer war zuerst einfach ein ‚Schwermütiger‘, ab dem 18. Jahrhundert schliesslich ein ‚eingebildeter Kranker‘.

Hypo hypo

Hyper- steht oft verstärkend – ‚über‘ ist ‚mehr‘. Hypo ist neben ‚unter‘ auch ‚wenig‘ bzw. ‚graduell‘.

Ein Beispiel dafür ist hypo-crite ‚Heuchler*in‘ (schon angetroffen im Zusammenhang mit der Krise) wo es ein ‚graduelles Scheiden‘ bezeichnet, daher ‚antworten‘, später ‚im Theater antworten‘ und schliesslich ‚Theater spielen‘. Die Bedeutungsentwicklung von ‚graduell scheiden‘ zu ‚antworten‘ läuft wohl auch unter „liegt nicht auf der Hand“. Ist aber natürlich 2000 Jahre her, das Sprachgefühl fürs Altgriechische fehlt auch mir und dürfte seine Zeit gedauert haben.

Ebenfalls mit hypo- gebildet sind die Hypo-tenuse (die sich ‚unter‘ dem rechten Winkel ’streckt‘) und die Hypothese (das ‚zugrunde Gelegte‘, also ‚Vorausgesetzte‘).

* Fremdwörter sind Glückssache, weiss der Volksmund.

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