Hat’s nicht gibt’s nicht

Dass etwas da ist, ist eine recht simple Aussage. Doch es ist ein Trugschluss, dass oft verwendete Strukturen in der Sprache „einfach“ codiert sind. Gerade dass wir eine Konstruktion häufig brauchen, kann Anlass zu detaillierteren Unterscheidungen geben, aus denen neue Konventionen hervorgehen.

Dies zeigt sich an den unterschiedlichen Verben, die Sprachen für Existentialkonstruktionen verwenden: Die romanischen Sprachen ergänzen haben oder sein mit einer Partikel: frz. il y a ‚es hat da‘, sp. hay, zusammengewachsen aus ha ‚hat‘ und y ‚da‘, ital. c’è, wörtlich ‚da ist‘, so auch engl. there is.

Finnisch und Russisch verwenden dafür meines Wissens das Verb sein ohne Partikel, russisch есть (jest) ‚ist‘ (allerdings oft weggelassen), finnisch on ‚ist‘. Schwedisch nimmt das Verb ’sich befinden‘, det finns, was durch den kurzen Passiv/Medium/Reziprok-Marker -s (’sich‘, unter anderem) möglich wird.

Und auf Deutsch? Es hat ist eine schweizerische und schwäbische Besonderheit (Karte). Im Standarddeutschen sagt man, wie Schweizerinnen und Schweizer durch amüsierte Berichtigungen lernen, ausschliesslich es gibt. Im Gegensatz zu den aufgezählten Möglichkeiten mit sein und haben ist geben als „Verb des Vorhandenseins“ weniger naheliegend, deshalb sei die Entwicklung kurz beleuchtet.

Die Konstruktion mit geben begann sich im Mittelhochdeutschen (1050–1350) herauszubilden und verfestigte sich im Frühneuhochdeutschen (1350–1650). Es handelt sich um eine sukzessiv fortschreitende Grammatikalisierung von geben zu einer abstrakten Bedeutung. Von „jemandem etwas geben“ wurde die Verwendung zuerst ausgedehnt auf Kontexte wie den folgenden:

ein wazzer drunder hin vlôz,
des val gap michelen dôz

‚Ein Gewässer floss dort unten, dessen Fall viel Lärm gab/machte/produzierte‘ (Mhd. zit. nach Pfenninger 2009: 203; aus Erec von Hartmann von Aue, entstanden 1180/1190)

Solche Verwendungen bilden die Brücke zur übertragenen Bedeutung ‚führen zu, produzieren‘. Etwas, das gegeben wird, erfährt eine Beförderung, in der ursprünglichen Verwendunge durch jemanden (ich gebe), im obigen Beispiel aber schon von einer abstrakten Instanz verursacht: Der Fall gibt – was auf zwei Arten gelesen werden kann: der Fall „überreicht“ etwas, aber eher schon übertragen, er produziert Lärm. Dies ist der erste Grammatikalisierungsschritt (geben mit Bedeutung ‚produzieren‘ heute noch in Sätzen wie: Der Baum gibt Äpfel.)

In einem weiteren (graduellen) Schritt wurde ‚produzieren‘ zu ‚existieren‘ umgedeutet. Nicht mehr die Bewegung ist im Fokus, sondern das Resultat (‚es führt zu Lärm‘ > ‚der Lärm existiert‘). Damit sind wir beim unpersönlichen es gibt angelangt.

Literatur: Pfenninger, Simone E. (2009): Grammaticalization paths of English and High German existential constructions: a corpus-based study. Bern: Lang. 189–215.

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