Warum die Schweiz so heisst

Einige Länder sind nach Volksgruppen benannt, die sich dort ansiedelten: Frankreich ist das Land der Franken, England das der Angeln, Burundi das der Rundi. Bei der Schweiz funktioniert das nicht. Was nun?

Auf ortsnamen.ch findet sich unter Schwyz eine ausführliche Abhandlung aus dem kantonalen Schwyzer Namenbuch, veröffentlicht im Jahre 2012, also auf dem aktuellen Stand der Forschung. Die Irrungen der Deutungsversuche sind erheiternd, weshalb ich es nicht lassen kann, sie auszudeutschen. Wer nichts für Entwicklungen übrig hat und nur Resultate sehen will, kann direkt zum 4. Akt zu springen.

1. Akt: Erste schriftliche Erwähnung

Am Anfang war das Wort, da hat die Bibel schon recht. Nun ist es aus offensichtlichen Gründen leider unmöglich, das gesprochene Wort früherer Jahrhunderte nachzuverfolgen, also schlagen wir den Pflock auf dem Zeitstrahl dort ein, wo wir sicher sind: bei der ersten schriftlichen Erwähnung. Im Fall von Swiz ist das 1289 (ze Swiz in der Waltstat).

2. Akt: Ein Mythos muss her!

Da ist also dieses Wort Schwyz, und wie der Linguist heute fragten sich die Chronisten damals (wir schreiben etwa das Jahr 1500), was zum Kuckuck das bedeuten möge. Die lautlich naheliegenden Möglichkeiten wurden durchdekliniert:

  • Klingt wie schwitzen! Die kamen also aus dem Norden und wollten im Süden schwitzen!
  • Swicia klingt wie Suecia! Die sind sicher aus Schweden eingewandert!

Hätten wir also das mit der Herkunft geklärt (aus dem Norden), fehlt noch eine hübsche Geschichte. Auch da verliessen sich die Herren Chronisten auf ihre nicht sonderlich originelle Eingebung: Zwei Brüder Swit und Schey kämpften um den Vorrang, nach dem Gewinner Swit wurde der Ort benannt.

Habemus Gründungssage! – Klingt zwar fast wie Romulus, der seinen Bruder Remus besiegte und Rom seinen Namen gab, das ist aber sicher ein Zufall.

Mythen unter den Mythen: Vierwaldstättersee, Brunnen und die Mythen – public domain, via wikimedia

3. Akt: Sprachwissenschaft im Anflug

Die Sage von Swit und Schey hält sich vor allem in der Innerschweiz lange. Noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert war sie quicklebendig.

Es rollt aber auch eine neue Deutungswelle heran, die sich auf eine wissenschaftlichere Herangehensweise an Etymologie stützt. Langsam kommen wir in Gefilde, wo es dem Linguisten von heute wohler ist. Aber zuerst müssen wir durchs Tal der wuchernden Theorien.

Mitte des 19. Jahrhunderts sieht ein gewisser Herr Brosi einen keltischen Stamm *swy- ‚Landesteil, Provinz‘ in Schwyz. Die Schwierigkeit beim Keltischen in Mitteleuropa ist, dass es schon seit über einem Jahrtausend verschwunden ist – und es deshalb nicht ganz einfach ist, an das wenige Vorhandene anzuknüpfen (oder umso einfacher, aber sehr schwer zu beweisen). Verdikt Schwyzer Namenbuch: Brosis Erklärungsversuche sind durchwegs phantastisch und unglaubwürdig.

So urteilt auch der Herr Gatschet, der seinerseits ein ahd. Verb suedan ‚brennen, verbrennen‘ als Quelle vorschlägt – demnach wäre zur Gründung von Schwyz ein Wald niedergebrannt worden. Der Haken: Er unterlässt es aber darzulegen, wie man vom Stamm des Verbs auf Swits kommt.

Auftritt Herr Brandstetter. Er hat eine neue Idee, wie das mit Schweden und Swit, der seinen Bruder ausschaltet, doch noch irgendwie zusammenzubringen sei. Er holt aus, führt ahd. *swind ‚gewaltig, heftig; schnell‘ (wie in ‚geschwind‘) an, mit n-Schwund natürlich (*swind*swid), dazu im Genitiv, womit wir bei *swids wären, blöd nur, dass der betreffende Wortstamm sonst nirgends mit n-Schwund auftritt und der Genitiv auf -en lauten würde. – Deshalb leider nein, aber ein Trostpreis für die Kreativität.

Als nächster versucht sich ein Herr Hubschmied an unserem Untersuchsgegenstand. Er hat ein Faible für die Gallier und Etrusker. Zuerst versucht er es mit gallisch *(alpes) suêtas ‚Schweinsalpen‘, allerdings vergisst er dabei, dass Schwyz keine Alp ist. Beim Schwyzer Namenbuch zieht man die Augenbraue hoch und urteilt: obsolet. Später versucht er es noch mit Etruskisch, nur liegt Schwyz halt auch nicht in Italien: Die Etrusker hier ins Spiel zu bringen, gleicht für unseren Raum geradezu einem wissenschaftlichen Salto mortale.

4. Akt: Entzauberung

Wir befinden uns nun im späten 20. Jahrhundert, die Sprachforschung ist erwachsen und das Jonglieren mit Wortwurzeln seltener eine Frage von Glück, Wunschdenken und magischen Vorstellungen.

Der Herr Sonderegger, Professor der Germanistik, plädiert für die Abstammung von idg. *sueid- ‚glänzen, schimmern‘ bzw. *sueit- ’sengen, brennen‘ – die lautliche Entwicklungskette wäre dann idg. *sueit(-os) > kelt. *svêtos > roman. *svêt(-es) > ahd. *swît(e)s > Schwyz – ein hübsches Gemeinschaftswerk von keltisch, romanisch und germanisch.

Die Bedeutung geht nach dieser These auf das Bild eines waldfreien Geländes zurück, das durch Feuer gerodet wurde. (Der Herr Gatschet mag aus dem Grab rufen, «Ha! So daneben lag ich gar nicht!», wir rufen zurück «Leider nein! Nicht *sued-, sondern *sueit-, und wer nicht schön begründet, ist sowieso raus.»)

4½. Akt: Die Muota

Eine andere These sieht den Fluss Muota als Motiv: Dieser fliesst aus dem Wald hinaus ins weite Tal zwischen Schwyz und Vierwaldstättersee. Bevor die Muota gebändigt wurde, habe sie in der Ebene bei Schwyz viel Platz eingenommen und Kalkgestein zurückgelassen:

Ein breites Flussbett mit vielen Kiesbänken mit den aus dem Muotatal heraustransportierten Kalksteinen und mit nach grossen Regenfällen oder nach der Schneeschmelze oft über eine längere Zeit stehenden Tümpeln im ursprünglichen Riedland beidseits des Flusses muss einen durchaus hellen Eindruck abgegeben haben. Bei Sonnenschein leuchtet auch heute noch der in ein starres Bett gezwängte Fluss gegen die Hänge oberhalb von Schwyz hinauf.

Das ausschlaggebende Wort ist hell. Hier setzt die „Muota-These“ an: Schmelzwasser und Kalk haben stark reflektiert, daher die keltische Bezeichnung *svêtos mit Bedeutung ‚glänzen, schimmern‘ für das Gebiet oder die Muota selbst. Die aufmerksame Leserin merkt: Wir bewegen uns nun wieder in Gebieten keltischer Unschärfe, dieses Mal allerdings besser begründet. Die Alemannen haben nach dieser Theorie schliesslich den Namen des Flusses auf den Ort übertragen. Das Schwyzer Namenbuch zieht die „Muota-These“ vor:

Viel eher als eine Brandrodung muss das hell leuchtende Flussgelände das Motiv für die Namengebung des Talkessels abgegeben haben, wenn mit *svêtos nicht gar der ursprüngliche Name für die Muota anzunehmen ist. Als Bedeutung kann man sich ohne Weiteres ‚hell leuchtendes Fliessgewässer‘ vorstellen.

Koloriertes Dia der Muota, Leo Wehrli 1945, koloriert von Margrit Wehrli-Frey – CC BY-SA, via wikimedia

Akt 5: Neuhochdeutsche Diphthongierung

Der Puls des Linguisten geht schneller, im Gesicht zeichnet sich ein seliges Lächeln ab, ein wohliger Schauder fährt ihm durch den Körper: Ja, es ist eine Diphthongierung! Gepriesen seist du, oh herrlicher Lautwandel, ohne dich keine Etymologie im Deutschen vollkommen sein kann! (Der emotionale Bezug des Linguisten zu Diphthongierungen kommt von der eingehenden Beschäftigung mit selbigen im Rahmen der Bachelorarbeit.)

Grund für das Frohlocken ist die Gegenüberstellung von standarddeutsch Schweiz (mit Diphthong ei) und dialektalem Schwyz bzw. Schwiiz (mit langem /iː/). Das diphthongierte Schweiz, das nicht dem hiesigen Sprachgebrauch entspricht, ist zuerst belegt – in nicht einheimischen Urkunden. Die Schweizer selber nannten sich indessen Eidgenossen, die Ortschaft Schwyz wurde Kilchgassen genannt, Schwyz bezog sich auf den ganzen Talkessel.

Die Eidgenossen – hallo, Ironie der Geschichte – wehrten sich lange gegen die heute so selbstverständlich und stolz getragene Bezeichnung Schweizer:

Schweizer wurden die Eidgenossen zuerst beschimpfend von aussen genannt. Erst allmählich übernahmen die Eidgenossen diese Benennung für sich selber. Aus der Schweizerischen Eidgenossenschaft wurde die Schweiz.

Für Schwyzer, also die im Ort Schwyz Ansässigen, brachte die Übertragung des bei ihnen entstandenen Toponyms aufs ganze Land eine weitere Komplikation: Ist Schwiiz das Land (bzw. der Staat), oder Schwiiz die Ortschaft (bzw. der Kanton) gemeint? Einige behelfen sich damit, das Land mit Diphthong zu sprechen, also d Schweiz. Passt, wurde ja eh von aussen aufgedrückt.

In sachlichem Tonfall kann all dies, wie bereits erwähnt, im Schwyzer Namenbuch unter „Schwyz“ bzw. auf ortsnamen.ch nachgelesen werden. Die dortige Abhandlung bildet die Basis für Inhalt und Zitate in diesem Artikel.

2 Kommentare

  1. Mattia

    „Ein Trostpreis für die Kreativität“.

    Weiss man, wer zuerst das diphtongierte Wort „Schweiz“ als Schimpfwort benutzt hat?

    • Kim

      Mit der ersten belegten abfälligen Verwendung kann ich gerade nicht dienen, da müsste man sich durch die lange Belegliste im verlinkten Artikels des Schwyzer Namenbuch lesen…

      Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die diphthongierte Form ist einfach die „nördlichere“ Lautung, daran ist per se noch nichts Abfälliges. Da aber herablassende Bennenungen ihrer Natur nach von aussen kommen, kann es folglich gut sein, dass sie mit Diphthong geäussert wurden.

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