Den Frühlingsanfang verkünden nebst den Temperaturen auch die Fülle von Bärlauchprodukten, die beim Grossverteiler feilgeboten werden (übrigens nicht gezüchtet, sondern im Wald gesammelt). Ich nehme dies als Anlass für einen vergleichenden linguistischen Streifzug durch die Welt der Lauche – Wie heissen Lauch, Bärlauch, Knoblauch und Schnittlauch auf Englisch, auf Schwedisch und in romansichen Sprachen, wie steht es um die botanische Einteilung und woher kommen die jeweiligen Benennungen?
Ordnung trifft Ordnung
deutsch | englisch | schwedisch | französisch | italienisch | lateinisch |
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Lauch/Porree | leek | purjo, purjolök |
poireau | porro | porrum |
Bärlauch; dialektal: Rämsen, Ramser etc. |
ramson, buckrams; wild garlic, (bear leek) |
ramslök | ail des ours | aglio orsino | |
Knoblauch | garlic | vitlök | ail | aglio | ālium, āllium |
Schnittlauch | chives | gräslök | ciboulette | erba cipollina | |
Zwiebel | onion | lök | oignon | cipolla | cepa |
Frühlingszwiebel (u.a.) | scallion, … onion | piplök | ciboule | cipolla d’inverno, cipolletta |
Im Deutschen ist der Name des Knoblauch vom Lauch abgeleitet, Zwiebeln sind eine separate Geschichte. Auch im Schwedischen teilen sich die beiden ersten das Hinterglied -lök (also Lauch), welches allerdings alleine ‚Zwiebel‘ bedeutet: vitlök, purjolök, lök. Auf Italienisch dagegen haben alle unterschiedliche Namen – aglio, porro, cipolla.
Botanisch gesehen sind alles Lauch-Arten: allium porrum, allium sativum, allium cepa – wie auch der Bärlauch (allium ursinum), der Schnittlauch (allium sativum) und viele weitere, bei denen man wohl nicht an Lauch denkt, z.B. der Runde Lauch (allium rotundum).
Hier treffen zwei Logiken aufeinander: Botanik hat eine systematische Taxonomie zum Ziel, Sprachen (oder besser: die Menschen) funktionieren eher assoziativ und pragmatisch. Eine solche „funktionale Ordnung “ kann verschiedene Attribute unterschiedlich prominent berücksichtigen (wie auch aus den Beispielen oben ersichtlich):
- Bezüge können über das Aussehen oder andere Merkmale wie Geruch hergestellt werden. Frühlingszwiebeln und Schnittlauch sehen beide länglich aus, also wird das eine als kleine Version des anderen gefasst: ciboule und ciboulette. Bärlauch duftet ähnlich wie Knoblauch, also aglio und aglio orsino.
- Häufiger Umgang: Kürze ist gerade bei oft gebrauchten Wörtern praktisch – also kriegen Lauch und Knoblauch ein eigenes kurzes Wort (porro, aglio), und der weniger oft gebrauchte Bärlauch wird davon abgeleitet: aglio orsino.
- Gruppierung durch Zusammensetzungen: Der Preis für Kürze ist, dass mehr Wörter zu lernen sind. Dem kann entgegengewirkt werden, indem alles als Unterformen von Lauch gefasst wird. Davon machen alle unserer Sprachen Gebrauch (z.B. ital. aglio und aglio orsino), am systematischsten aber Schwedisch: die Reihe vitlök ‚Knoblauch‘, gräslök ‚Schnittlauch‘, lök ‚Zwiebel‘ und piplök ‚Frühlingszwiebel‘ ist fast intuitiv verständlich.
Die Sprache nimmt eine Gewichtung vor, was die botanische Taxonomie nicht macht, da dort nur die Verwandschaftsbeziehung zählt und nicht, wie oft wir mit der Pflanze zu tun haben. Die Gewichtung drückt sich in eigenen, kurzen Namen für häufig verwendete Pflanzen aus (ohne zweiten Wirttei zur Spezifizierung im Schwedischen: lök ‚Zwiebel‘), an denen tendenziell abzulesen ist, welche Pflanzen bedeutsam sind im Alltag – so ist zum Beispiel der Knoblauch im Schweizerdeutschen zu Chnobli gekürzt (ähnlich im Englischen: garlic mit kurzvokaligem -lic aus -leek), und lehnt sich damit nicht mehr an den Lauch an, Schnittlauch und Bärlauch wurden hingegen nicht gekürzt.
Etymologie
Nun interessiert noch, woher die unterschiedlichen Wortteile kommen.
Lauch/leek/lök ist der germanische Passepartout. Es handelt sich um ein urgermanisches Wort (*lauko-), dessen Abstammung umstritten ist. Eventuell hat es mit der idg. Wurzel für ‚wachsen‘ zu tun, was die Bedeutung von Lauch unterstreichen würde. Für eine Wahrnehmung als omnipräsentes Gemüse spricht auch, dass das Wort Lauch in den anderen Pflanzen verbaut wurde und nicht etwa Rams.
Das lateinische Wort für Lauch ist porrum. Übers Französische (ältere Form porrée) kam es auch ins Schwedische (purjo) und Deutsche (Porree).
Was Bärlauch genau mit dem Bären zu tun hat, ist nicht klar. Die Theorie, dass deren Vorliebe für Bärlauch (nach dem Winterschlaf) ausschlagend war, hat es sogar in die englische Wikipedia geschafft. Bären essen wirklich Bärlauch – ein Beweis für die Theorie ist dies aber nicht. Ein anderer Ansatz geht davon aus, dass man die Attribute des Bärs, der für Stärke und Mut stand, auf die Pflanze übertrug (oder mystisch übertragen sehen wollte): kräftig duftende Pflanze, also Bär-Pflanze. Tabus und Übertragung von Attributen spielt in idg. Sprachen in der Tat eine Rolle, aber beweisen lässt sich auch diese Herleitung nicht. Nüchterner ist die Deutung, dass es sich um eine Waldpflanze handelt, die nach einem Tier des Waldes benannt wurde – keine Legende mit Pointe, aber meines Erachtens plausibler, da zurückhaltender (das Verlangen der Menschen nach schön runden Geschichten scheitert ja des Öfteren an der Wirklichkeit).
Bildungen mit Bär- finden sich bemerkenswerterweise in ganz Europa, u.a. in romanischen, germanischen und slavischen Sprachen. Es ist anzunehmen, dass es sich um Lehnübersetzungen handelt – fragt sich, welche Sprache zuerst war. Im Deutschen machte der Bärlauch erst in den letzten Jahrhunderten Karriere und verdrängte dabei den Rams, der im Englischen und Schwedischen noch fest verankert ist, ins Dialektale. Wir wissen hingegen, dass bereits Plinius von ursinum allium sprach. Es ist also sehr gut denkbar, dass die Anlehnung an den Bär aus dem Latein stammt.
Rams (< urgermanisch *hramesōn < idg. *kromus-) war der germanische Name für verschiedene Lauchgewächse. In deutschen Dialektwörterbüchern ist es noch fast fürs ganze Sprachgebiet belegt, z.B. im Idiotikon (Schweizerdeutsches Wörterbuch). Kognate finden sich im Altgriechischen, Keltischen, Baltischen und Slavischen: gr. κρόμ(μ)υον króm(m)yon ‚Lauch, Zwiebel‘; mittelirisch. crem/crim, kymrisch (walisisch) cra(f) ‚Knoblauch‘; litauisch kermùšė ‚wilder Knoblauch‘; russisch čeremšá ‚Bärlauch‘.
Das englische Buckrams ist nahezu ausgestorben. Der vordere Teil verweist wohl auf den Gestank, den der Bärlauch verbreitet: der buck ist ein Geissbock. Die Karriere der konkurrierenden Bezeichnungen im Englischen ist aus folgendem Ngram ersichtlich:
Beim Knoblauch herrscht im Gegensatz zum Lauch eine schöne Trennung zwischen germanischen und romanischen Sprachen. Das Vorderglied des Kompositum ist dt. Knob- und engl. gar- (schwed. vit- heisst einfach ‚Weiss‘).
- Knob- kommt von *klubō ‚Zehe‘, dies zu klieben ’spalten‘ (also: ‚in Zehen gespaltener Lauch‘). Die Dissimilation von klobelouch (l-l) zu knobelouch (n-l) ereignete sich im Mittelhochdeutschen (vgl. arbor/arbol/albero).
- gar- geht auf germanisch geir/gêr ‚Speer‘ zurück (auch in Gerhard oder Gertrud), offenbar aufgrund des ähnlichen Aussehens einer Speerspitze und einer Knoblauchzehe.
Schnittlauch ist auf Deutsch und Schwedisch recht simpel benannt (gräslök, wörtlich ‚Gras-Lauch‘), die romanischen Sprachen ziehen hingegen bereits hier die Grenze zwischen Lauchen und Zwiebeln, und Englisch hat ein romanisches Lehnwort eingesetzt: chives wurde durch (nord)frz. cive vermittelt (unterdessen ist Französisch von civette zu ciboulette übergegangen), ein „aufgeweichtes “ lat. cēpa. Im Altenglischen bedeutete cipe noch ‚Zwiebel‘, ebenso haben sich im Französischen Verschiebungen vollzogen (OED, Auszeichnungen von mir):
In French, cive included (or perhaps still includes) ’several small species or varieties‘, besides [chives], to which the diminutive civette (in Catalan cebeta) applies more exclusively. [….] it is also called ciboulette, diminutive of ciboule [‚Frühlingszwiebel‘]. Other Old French derivative forms were civol, civon, civot.
Fazit
Schaut man sich die obige Tabelle an, wird klar: Wir haben es (wieder einmal) mit einem „pan-europäischen Benennungskasten “ zu tun, bei dem die Sprachen Europas sich gegenseitig beeinflusst haben, vor allem von romanischen zu germanischen Sprachen – wenn man die Tabelle erweitern würde, sähe man, dass sich auch die slavischen, keltischen und das nicht-indogermanische Finnisch (und wohl auch Baskisch) zum Teil angeschlossen haben.
Die Wortteile können dabei verschieden kombiniert werden und ineinandergreifen, man denke an Lauchzwiebel (‚Frühlingszwiebel‘), bear’s garlic, wo der Bär nicht den Lauch, sondern den schon spezifizierten Knoblauch weiter spezifiziert oder die romanisch-germanische Mischung purojlök. Die Bedeutungen verschieben sich dabei immer wieder, so bezeichnet Rams Bärlauch, cra(f) Knoblauch und κρόμ(μ)υον u.a. die Zwiebel – alles basierend auf demselben Etymon. Auch bei den Abkömmlingen der cēpa gibt es Verschiebungen: chives ist Schnittlauch, cipolla die Zwiebel und ciboule die Frühlingszwiebel. Was es mit der Zwiebel etymologisch auf sich hat, lässt sich bei den Wortgeschichten des Idiotikons nachlesen.