Wahnsinniges Lernen, automatisches Denken und munteres Demonstrieren

Die indogermanische Wurzel *men- ‚denken‘ gibt einiges her. Ich werde mich – wie üblich – vor allem auf die Pfade beschränken, die sie im Altgriechischen (gr.), Latein (lat.) und den germanischen Sprachen (germ.) durchlaufen hat. Dies einerseits, um die Sache „kurz“ zu halten, andererseits, weil ich mich damit am besten auskenne.

Deutsche (dt.) und englische (engl.) Wörter im Zusammenhang mit Lateinisch und Griechisch anzuschauen macht aber auch Sinn, da erstaunlich viel „Wortmaterial“ daher kommt.

Prolog

Protagonist ist also die Wurzel *men-. Sie wird als men-, man-, mon-, mun-, min-, ma- und *mn- auftreten. Das hat seine Rechtmässigkeit; wie die genau aussieht, werde ich hier nicht ausführen. Ist aber, vertrauen Sie mir, alles logisch (jedenfalls erstaunlich viel) und erklärbar (allerdings nicht in jedem Fall von mir).

1. Akt: Griechisch-lateinisches Aufwärmen mit Automat und Manie

Im Altgriechischen finden sich verschiedene Bildungen, deren Abkömmlinge uns geläufig sind:

  • αὐτό-ματος auto-matos ‚aus eigenem Antrieb, von selbst‘ kam übers Latein ins Deutsche und wurde zum Automat.
  • μνημονικός mnē-mon-ikós ‚ein gutes Gedächtnis habend‘ fand Eingang ins Deutsche (mnemonisch) und Engl. (mnemonic), wo es Dinge bezeichnet, die mit Gedächnis zu tun haben.
  • μανία manía ‚Raserei, Wut, Wahnsinn‘ hat wiederum via Latein in die germ. Sprachen Eingang gefunden (manisch, beatlemania, maniac, Kleptomanie, …) – es gibt aber (neben gewichtigen Fürsprechern) Einwände gegen die Verbindung mit *men-.

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2. Akt: Das Perfekt *me-mn-

Der Perfektstamm *me-mn- (die Wurzel *men- steckt in der zweiten Silbe, die erste ist reduplizierend) führte zu lat. meminī ‚erinnern‘, auf welches unter anderem dt. Kommentar zurückgeht. Engl. memory stammt vom zugehörigen Adjektiv ab, das via Französisch ins Englische gelangte.

Aber in den germ. Sprachen gibt es auch direkte Nachkommen von *me-mn-, die nicht den Umweg übers Latein gemacht haben: *mun-/*man- ist urgerm. für ‚denken‘, wobei die Reduplikationssilbe me- weggelassen und ein -u- eingeschoben wurde (Vokalepenthese). Neben dem Isländischen zeugt davon auch noch dt. mahnen.

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3. Akt: t-Suffix

Das lat. mēns, mentis ‚Geist; Gemüt; Gedanken‘ begegnet einem in jedem romanischen Adverb: lenta-mente ‚langsam‘ (wörtlich: ‚auf langsame Weise‘), pareille-ment ‚gleichfalls‘ (wörtlich: ‚in gleicher Weise‘), aber auch bei vielen Substantiven: Fragment, Alimente, accomplishment etc.

Es ist aber auch die Quelle für mentīrī ‚erdichten; lügen‘, dessen semantische Verschiebung in den zwei Bedeutungen schön ersichtlich ist: zuerst bezeichnet es so etwas wie ‚fantasievoll denken‘, dann aber auch dessen negatives Gegenstück.

Im nachklassischen Latein wurde das Adjektiv mentalis dazu gebildet, ‚zum Denken gehörig‘, das wir auch im Deutschen wieder finden (z.B. mentale Belastung). Im Englischen kann es auch pejorativ genutzt werden und heisst dann ‚verrückt‘ – ebenso wie lat. demens, von dem Demenz abgeleitet ist, und wie maniac, dem wir oben begegnet sind.

Im Germanischen bezeichnete das mit t-Suffix gebildete Substantiv das Gedächtnis. Prominentes Überbleibsel davon ist engl. mind, das sich zum wichtigen Verb gemausert hat (Do you mind? – That reminds me of something.)

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4. Akt: *mon-éi̯e (Kausativ)

Der Kausativ zu ‚denken‘ ist ‚denken machen‘, also ‚erinnern, mahnen‘, lat. monēre. Davon leitet sich eine ganze Batterie von lateinischen Wörtern ab, die auch ins Deutsche eingegangen sind:

  • Monitor ‚Aufseher‘ wird im Engl. benutzt, um Überwachungsgeräte zu bezeichnen, von wo es auf Computerbildschirme übertragen wird.
  • Monstrāre ‚zeigen‘ erinnert einen zuerst an *Monster*, von lat. *monstrum* ‚Unheil verkündendes Zeichen; Ungeheuer‘. Das Wort kam via Französisch und Englisch ins Deutsche, das Adjektiv *monströs* übernahmen wir ohne den Umweg übers Englische aus dem Französischen.
  • Eine weitere Gruppe basiert auf dem Italienischen: mostra bezeichnete ein ‚Probestück‘ (ein Stück zum Vorzeigen), also ein Muster. Daher auch mustern und die Musterung.
  • Demonstrāre ‚hinweisen, verdeutlichen‘ haben wir ebenfalls übernommen, eine Demonstration oder Demo zeigt, wie etwas funktioniert, oder weist auf ein politisches Anliegen hin.
  • Monumentum ‚Denkmal‘ besteht gleich aus zwei *men-: ‚erinnern‘ kombiniert mit dem substantivierenden Suffix -ment (s.o.). Monumental hat im Deutschen eine Bedeutungserweiterung zu ’sehr gross‘ erfahren, ähnlich wie monströs, das ja ebenfalls auf monēre zurückgeht.
  • Monieren heisst mahnen – beide stammen von *men- ab, eins über das indogermanische Perfekt (siehe oben), das andere über den lateinischen Kausativ.

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5. Akt: Ableitung mit *dʰ

In dunklere Gefilde führt der letze Abschnitt. Die rekonstruierten Formen *mn(s)-dʰh₁- (Etymological Dictionary of Proto-Germanic) bzw. *mendʰ- (Kluge) sind eigene Wurzeln, die aus der Wurzel *men- herleitbar sind und wohl etwas wie ‚erstreben‘ bedeuteten. Griech. μανθάνω manthanō ‚lernen‘ und μάθηματα mathēmata ‚Wissen‘ sollen davon abstammen, aber auch das dt. munter, das im Althochdeutschen noch ‚leicht, lebhaft, wach‘ bedeutete und dann eine Bedeutungsverschiebung erfuhr.

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Epilog: Grafik und Quellen

Wer sich nach dieser Etymologie-Stunde das Dozierte nochmals zu Gemüte (oder menti) führen möchte: PDF des ganzen Stammbaums

Benutzte Wörterbücher: Gemoll; Stowasser; Etymological Dictionary of Proto-Germanic; Etymological Dictionary of Latin and the other Italic Languages; Etymological Dictionary of Greek; Oxford English Dictionary; Kluge; Seebold (1970): Wörterbuch der starken germ. Verben

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