Kamala Harris hat bereits im Jahr 2016 in einem Wahlspot erklären lassen, wie man ihren Vornamen ausspricht:
Womit eigentlich alles gesagt ist – für die USA. Aber schon auf Länder mit anderer englischer Aussprache lässt sich das nicht 1:1 übertragen. Der britische Phonetiker und YouTuber Geoff Lindsay hat das in einem Video aufgebröselt.
Das Wichtigste scheint mir die Betonung zu sein: Sie liegt auf der ersten Silbe. Damit ist nun wirklich alles ges–
a, o oder ä?
Wer noch weiter ins Detail gehen möchte, kann sich die Frage stellen, wie das betonte a in der ersten Silbe genau ausgesprochen wird: Ka-? Kä-? Ko-? – Schauen wir mal, wie es sich im Englischen verhält.
Vokalqualität: Im amerikanischen Englisch wird die Aussprachehilfe comma als /ˈkɑ.mə/ ausgesprochen. Also nicht mit o, sondern /ɑ/, einem hinteren offenen a, wie es auch in father zum Einsatz kommt. Für deutsche Ohren ungefähr "ein a, das etwas gegen o geht".
Länge: Im amerikanischen Englisch sind langes und kurzes a zusammengefallen, weshalb sich dort die Frage der Vokallänge (Kaaamala oder Kamala) nicht stellt. So werden father und bomb mit demselben Vokal ausgesprochen; im Britischen hingegen ist father /fɑː-/ lang und bomb /bɒm/ kurz. Das amerikanische /ɑ/ ist eher kurz.
Amerikanisches a trifft auf deutsches a
Übersetzen wir Kamalas Erklärung auf deutsch ("Komma + la"), landen wir zwischen Stuhl und Bank (bzw. zwischen Sofa und Bank): Dt. Komma legt nahe, dass es sich beim a in der ersten Silbe um ein o handelt. Für Amerikaner:innen wird hingegen durch "comma-la" klar, dass es sich um ein /ɑ/ handelt. Diesen Laut gibt es im standarddeutschen Vokalinventar aber gar nicht (in Dialekten mag das anders sein). Er ist offener als unser o, aber weiter hinten als unser a – dazwischen eben.
Am nächsten kommt das deutsche a. Die Übertragung der Brücke "comma-la" auf deutsch "Komma-la", die ZDF und watson propagieren, ist also mindestens vereinfachend, aber meines Erachtens auch irreführend. Englisches /ɑ/ wird in den meisten Fällen als a ins Deutsche übertragen: Marketing, nicht Morketing.
Zur Aussprache von Lehnwörtern
Muss man sich überhaupt bemühen, Lehnwörter so auszusprechen wie in der Sprache, aus der sie übernommen werden?
Wir sind es gewohnt, Wörter aus anderen Sprachen in unser Vokalsystem einzupassen. In manchen Fällen wird eine Aussprache, die möglichst nah am Original ist, als einzig akzeptable Form angesehen, in anderen zumindest als chic: Wir waren in Bath in den Ferien, mit englischem th natürlich, nicht Baf oder Bas (chic). Und haben ein ai-Fon (akzeptiert), kein ii-Fon (nicht akzeptiert). Andererseits wird der Journalist kaum mit stimmhaftem sch gesprochen, Stockholm wird zu Schtockholm und Spaghetti zu Schpaghetti. Auch Eigennamen passen wir an – die russische Palatalisierung des /t/ in Putin zu sprechen, verlangt meines Wissens niemand.
Wir machen also Kompromisse bei der Aussprache von Wörtern und Namen aus anderen Sprachen. Und das ist sinnvoll – sonst haben wir nämlich beim Sprechen ständig einen Knopf in der Zunge oder im Kopf und zusätzlich leidet die Verständlichkeit, wenn man als Zuhörer:in mit "sprachfremden" Lauten konfrontiert ist.
Neunmalkluge gehen noch einen Schritt weiter und suchen z.B. für Kamala im Tamil nach der "richtigen" (also: vermeintlich ursprünglichsten) Aussprache. Nach dieser Logik müssten wir allerdings auch Paatsch (mit nasalisiertem a) statt Punch sagen.
Also: Man muss nicht alle Lehnwörter so aussprechen wie in der Ursprungssprache. Insbesondere bei Namen ist es aber sicher ein guter Zug, sich darum zu bemühen. Allerdings sollte man sich bewusst sein, dass manche Wörter schon weiter gereist sind und es nicht darum geht, an den ursprünglichsten aller Ursprünge zu gehen – sondern darum, einen Kompromiss zu finden, der hinreichend nah am Ausgangswort und für möglichst alle in der Sprachgemeinschaft ohne übermässigen Aufwand produzierbar und verständlich ist.
Fazit
Wer sich sehr viel Mühe geben möchte (oder wie der Schreiberling dieses Blogs gern in die Phonetik eintaucht), darf sich gern an einer möglichst amerikanischen (oder gar tamilischen) Aussprache von Kamala versuchen. Für alle anderen gilt: Auf der ersten Silbe betonen, und das a als "normales" deutsches a sprechen. Oder natürlich: Harris.