Mann und man

Einige Pronomen haben eine Reise hinter sich, deren Ursprung noch sichtbar ist. Dazu gehört das Indefinitpronomen man, dessen Reise im Schweizerdeutschen sogar noch etwas weiter fortgeschritten ist.

Im Englischen gibt es kein man. Wer sich äussern möchte, ohne die Person zu bezeichnen, ist auf one ‚eine*r‘ angewiesen. Sich selbst zurücknehmen ist natürlich äusserst wichtig für die Queen, worüber sich ein Parodieaccount auf Twitter mokiert:

Is one on Instagram? You can bet your arse one is.

Im Deutschen haben wir dafür man. Das klingt weniger gestelzt und ist durchaus praktisch. Aber auch leicht verpönt, da auch benutzt, um die eigentliche Nachricht zu verschleiern: Das macht man nicht so! – Wie bei allen verhüllenden Konstruktionen ist natürlich dem oder der Angesprochenen klar, was gemeint ist: Du machst das falsch.

Man und me

Ein weiterer Makel, der an man klebt, ist die fehlende klangliche Abgrenzung zu Mann. Darauf kann man mit kämpferischen Neuschöpfungen oder performativer Uneinsichtigkeit reagieren.

Hier hat das Schweizerdeutsche den Vorteil, dass man zu me abgeschliffen wurde und damit nicht mehr gleichklingend mit Maa ‚Mann‘ ist. Auch im Französischen wurde übrigens aus dem Wort für Mann (lat. homo > frz. homme) ein Indefinitpronomen, dessen Herkunft kaum mehr zu erkennen ist: on.

Grammatikalisierung!

In anderen Sprachen ist der Ursprung aus Substantiven bei einer ganzen Reihe von Pronomen noch deutlich zu sehen. In Asien ist z.B. die Verwendung von Verwandtschaftsbezeichnungen (im Birmanischen z.B. Wörter für ‚Tante‘ oder ‚Mädchen‘ für 2. Person, vgl. Wikipedia) oder Funktionsbezeichnungen (japanisch boku ‚ich‘ < ‚Diener‘) weit verbreitet.

Damit sind wir bei der Grammatikalisierung – dem Prozess, in dem Wörter ihre lexikalische Bedeutung verlieren und dafür eine grammatikalische Bedeutung annehmen.

Genau dies ist bei Mann und man geschehen: ahd. man ‚Mensch, Mann‘ wurde zu Mann, aber davon abgetrennt hat sich man ‚irgendeine Person‘. Es ist kein Substantiv mehr, das eine lexikalische Bedeutung vermittelt, sondern ein grammatikalisches Element. Im Schweizerdeutschen ist ein weiterer Prozess abgelaufen, der für Grammatikalisierung typisch ist: die lautliche Verkürzung.

Grammatikalisierung passiert in allen Sprachen der Welt, ständig. Man könnte sie als eine Manifestation des menschlichen Abstraktionsvermögens in der Sprache bezeichnen: Ich hab ein Wort für „(männlicher) Mensch“, das könnten wir doch auch einfach als Platzhalter verwenden, im Sinne von „irgendein Mensch“. Und schon haben wir ein neues Pronomen.

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