Die Glocke hat geläutet, die Pause ist vorbei, die Altgriechischlektion kann beginnen.
Die Herkunft der Epidemie und der Pandemie sind schnell erklärt. Beiden gemein ist -δῆμος (-dēmos) ‚Gebiet; Leute im Gebiet‘, das man von Demokratie, der „Volksherrschaft“, kennt.
Die Epidemie ist die Krankheit, die im Volk verbreitet ist – ἐπί-δῆμος (epi-dēmos) heisst einfach ‚im Volk/Gebiet‘, ἐπί-δῆμια (epi-dēmia) eigentlich ‚Aufenthalt‘ („das in einem Gebiet sein“). Im Altgriechischen noch allgemeiner verwendet, wurde es später nur noch auf Krankheiten bezogen – zu Deutsch etwa „die allgemein umgehende“ (ein ähnlicher Fall, bei der das Adjektiv zum Hauptbedeutungsträger avancierte, ist formaggio < formaticus ‚der Geformte‘ für Käse).
Ein weiteres Wort mit fast derselben Grundbedeutung ist endemisch: ἐν (en) heisst ‚in‘, δῆμος kennen wir, und endemisch bezeichnet ebenfalls etwas ‚im Volk Präsentes‘. Endemische Krankheiten unterscheiden sich von Epidemien darin, dass sie zeitlich unbegrenzt vorkommen. Es wird also nicht die zeitliche Häufung, sondern der Ort betont. Deshalb können auch Spezies oder kulturelle Phänomene endemisch sein.
Mehr als Epidemie: Pandemie
Die Pandemie ist die Steigerungsform der Epidemie, der Vollausbau sozusagen: παν- (pan-) bedeutet ‚völlig, ganz‘, bekannt vielleicht aus πάντα ῥεῖ (panta rhei) ‚alles fliesst‘ (mehr dazu bei Wikipedia). Die Pandemie ist demnach die ‚im ganzen Volk‘ grassierende Krankheit.
Nicht von παν- (pan-) ‚ganz‘ kommt übrigens die Panik. Sie gehört zum Hirtengott Πάν Pan – und zwar wörtlich: πανικός (panikós) ist ‚das, was zu Pan gehört‘. Seine Spezialkraft war anscheinend ein markerschütternder Schrei, den er insbesondere dann ausstiess, wenn er beim Mittagsschlaf gestört wurde. Diese „panischen“ Laute vermochten Herden oder Menschenmengen in Panik zu versetzen. Auch hier ist das Adjektiv zum Substantiv geworden – eigentlich ist ja die ‚von Pan verursachte Angst‘ gemeint.
O fabelhafte Sprache
Die ursprünglichen Bedeutungen von Epidemie und Pandemie muten seltsam trivial an, wenn man bedenkt, wie spezifisch die Begriffe in unserer Sprache sind (und wie stark der Beiklang).
Es ist jedoch gerade das Zusammenwirken von „trivialen“ Prozessen, die Sprache reich und faszinierend macht: Wörter werden gebildet, in andere Sprachen übernommen, die Bedeutung wird eingeengt, verbreitert oder verschoben und schliesslich haben wir ein sehr treffendes Wort für einen Sachverhalt, der sehr weit weg von der Grundbedeutung der Bestandteile ist: ἐπί ‚auf‘ + δῆμος ‚Gebiet, dessen Einwohner‘ → Epidemie ‚Krankheitsausbruch‘.