Kurzverben (5): Modalverben – Ein Grüppchen von Sonderfällen

Modalverben haben im Schweizerdeutschen einiges mit Kurzverben gemeinsam – Aber was sind Modalverben überhaupt? Und was hat er brauch ohne -t damit zu tun?

Als Modalverben bezeichnet man die Verben können, müssen, wollen, dürfen, sollen und mögen. Sie sind durch ein funktionales Kriterium definiert: modal heisst, dass sie den Modus, also den Umstand der Handlung verändern. Ich schwimme bedeutet etwas anderes als ich kann schwimmen – Die Handlung ist möglich, vollzieht sich aber nicht in diesem Moment. Ebenso du gehst einkaufen (die Handlung vollzieht sich jetzt) und du musst einkaufen gehen (die Handlung ist notwendig).

Modalverben im Standarddeutschen

Häufigkeit Präs. Sg. Präs. Pl. Vokalwechsel
Rang <10 ich/er kann wir/sie können a ~ ö
<10 muss müssen u ~ ü
~10 will wollen i ~ o
10+ weiss wissen ei ~ i
~25 soll sollen – (o)
~50 mag mögen a ~ ö
~50 darf dürfen a ~ ü
Tabelle 1: Modalverben des Standarddeutschen (plus wissen)

Die Modalverben teilen im Standarddeutschen mehrere formale Eigenschaften:

  • Die 3. Person Sg. hat kein -t: sie spricht, lacht, hat – aber sie mag, soll, kann
  • Die Modalverben weisen Vokalwechsel mit Umlaut im Präsens Plural auf: ich kann, wir können (davon abweichend: wollen hat Vokalwechsel i/o (will wollen), sollen hat immer o)

Ein Blick in die historische Entwicklung erklärt diese Gemeinsamkeiten: Die Modalverben gehen auf die Präteritopräsentien zurück, eine Verbgruppe, welche im Urgermanischen (1. Jahrtausend v.u.Z.) dieselben formalen Besonderheiten aufwiesen. Dazu gehörten z.B. auch gönnen und taugen, die später regularisiert wurden – nur die Verben mit modaler Bedeutung behielten auch die formellen Besonderheiten. Zwei Verben stehen auf der Schwelle:

  • Das Verb wollen war kein Präteritopräsens, wurde aber an die anderen Modalverben angeglichen (er will ohne -t; Vokalwechsel). Allerdings schloss es sich relativ spät an, weshalb es keinen Umlaut verpasst bekam.
  • Das Verb wissen war ein Präteritopräsens, ist aber kein Modalverb. Trotzdem hat es die Besonderheiten beibehalten, die Modalverben auszeichnen: er weiss ohne -t und Vokalwechsel (weisswissen).

Exkurs: Umlaut

Als Umlaute bezeichnet man die Laute ü, ö und ä. Sie heissen so, weil sie durch eine „Umformung“ der hinteren Laute u, o und a entstanden sind. Oft stehen sie auch noch mit diesen in einem Verhältnis. So werden gewisse Plurale, Steigerungsformen oder Ableitungen im Deutschen mit dem „zugehörigen“ Umlaut versehen:

  • Plural: ZugZüge, BaumBäume
  • Ableitung: hochHöhe, Tagtäglich
  • Adjektivsteigerung: gesundgesünder, grossgrösser

Rundung und Entrundung: Umlaute werden manchmal in einem zweiten Schritt entrundet. Die Lippen, die für ü und ö eine runde Stellung einnehmen, sind wieder entspannt. Das kann man selbst ausprobieren, indem man ein ü formt und dann die Lippen lang zieht. Das Resultat sind Varianten wie baseldeutsch Miis < Müüs ‚Mäuse‘ oder walliserdeutsch beesch < böös ‚böse‘. Der umgekehrte Vorgang ist die Rundung, z.B. schwümme < schwimmen.

Grafik 1: Entwicklung von Umlauten

Modalverben wechseln also meist den Vokal zwischen Singular und Plural (vgl. Tabelle 1), wobei im Plural oft ein Umlaut zum Zuge kommt:

  • ich musswir müssen
  • ich kannwir können
  • ich darfwir dürfen
Dass nur müssen den „zugehörigen“ Umlaut hat (u/ü in ich muss/wir müssen), hat damit zu tun, dass der Plural bei den meisten Modalverben schon vor dem Umlaut einen anderen Vokal als der Singular hatte – so geht z.B. wir dürfen auf den Pluralstamm þurf- zurück, dessen u zu ü umgelautet wurde; der Singularstamm setzt þarf- fort. Aus Vokalwechsel a/u entstand mit dem Umlaut im Plural der Vokalwechsel a/ü.
Auch bei den Kurzverben entsprechen die Vokale z.T. nicht dem Schema: Zürichdeutsch ich laa – mir lönd hat z.B. Vokalwechsel a/ö. Dies hat mit der Verdumpfung zu tun: langes ā wurde hierbei zu ō, dieses erscheint mit Umlaut als ö, nicht umgelautetes ō wurde im Kanton Zürich aber wieder zu ā. Bei ich ha – mir händ „stimmt“ der Umlaut hingegen (keine Verdumpfung weil ā schon zu ă gekürzt).
Nördlichere Dialekte haben die Verdumpfung nicht rückgängig gemacht: ich loo – mir lönd, bei haben gibt es ich ha – mir händ sowie verdumpft mir hönd (über Zwischenform hond). Südliche Dialekte haben nicht verdumpft: ich laa – mir länd. Die Gebiete mit Verdumpfung sieht man gut bei der Dialektkarte zu Abend.

Modalverben im Schweizerdeutschen

Schweizerdeutsche Dialekte machen einiges anders als Standarddeutsch. Stellvertretend wieder mein Schaffhauser Dialekt:

Häufigkeit Präs. Sg. Präs. Pl. Vokalwechsel
Rang <10 ich/er cha mir/ihr/sie chönd a ~ ö
<10 mo/mue/mu/mues nd o ~ ü
~10 will (wett, wott) nd (wend, wönd) i ~ ö
10+ weiss wüssed ei ~ ü
~25 söl söled – (ö)
~50 mag möged a ~ ö
~50 tarf (taar) törfed (töred) a ~ ö
Tabelle 2: Modalverben und wissen im Schweizerdeutschen (Schaffhausen)

Im Vergleich zum Standarddeutschen fällt ins Auge (kursiv in der Tabelle):

  • Der Umlaut ist konsequenter durchgeführt – auch bei mir wönd (wieder entrundet in wend/wänd), mir wüssed (Rundung i > ü) und mir söled, bei dem der Umlaut allerdings auch im Sg. gilt: ich söl
  • Die Formen cha und mo sind gekürzt
  • können, müssen und wollen haben im Präsens Plural die Endung -nd

An dieser Stelle wird die Verbindung zu den Kurzverben augenfällig – im 4. Teil wurde ja gerade der Umlaut im Plural als Kennzeichen der Kurzverben ausgemacht, ausserdem die Endung -nd. Es scheint eine gegenseitige Annäherung, ein beidseitiges „Geben und Nehmen“, stattgefunden zu haben: Die Modalverben haben den Umlaut ausgeliehen und dafür die Endung -nd bei den Kurzverben abgeschaut und den Singular gekürzt – so sie denn geeignet genug waren (was im Wesentlichen heisst: genug häufig; vgl. Teil 3 zu Frequenz).

Als Resultat davon sagen wir:

Ich mo, aber ich cha nid
Sie mönd nid, aber sie chönd

‚Ich muss, aber ich kann nicht; sie müssen nicht, können aber‘

tl;dr

Die Modalverben sind eine Handvoll Verben mit funktionalen und formalen Besonderheiten. Dazu gehört der Umlaut im Plural. Dieser wurde im Schweizerdeutschen auf die Kurzverben übertragen; die häufigen Modalverben wollen, können und müssen weisen dafür Kurzverb-Merkmale auf.

Kramen wir die Grafik aus Teil 4 nochmals hervor, welche drei zentrale Kriterien für Kurzverb-Status darstellt.

  • Pluralumlaut (Kriterium 2) haben die Kurzverben von den Modalverben übernommen.
  • Stamm auf Vokal und Spezialendung im Plural (Kriterien 1 und 3) sind im Schaffhauserdeutschen (!) z.B. beim Verb können erfüllt, bei mögen jedoch nicht. In vielen Dialekten haben sich die Modalverben, die ähnlich häufig wie Kurzverben sind (können, müssen und wollen) den Kurzverben angeglichen, die anderen (sollen, dürfen und mögen) nur regional.

Grafik 2: Modalverben im Schweizerdeutschen und ihr Kurzverbstatus (am Beispiel von können und mögen im Schaffhauserdeutschen)

auf den Mund geschaut

Die Besonderheiten der Modalverben sind Grund für einige Schwierigkeiten beim Deutschlernen: Die 3. Person hat immer ein -t – ausser eben bei den Modalverben. Sie ist, er hat, aber nicht sie kannt, es musst und er weisst, sondern kann, muss, weiss.

Die Kategorie Modalverben erklärt auch, warum die Form er brauch oft ohne -t gesagt wird: brauchen kann auch modal verwendet werden. Er braucht nicht zu kommen bedeutet etwa dasselbe wie er muss nicht kommen. Deshalb wird brauchen in einer „Substandard-Varietät“ (also einem Deutsch, bei dem PräskriptivistInnen „falsch!!!“ schreien, weil der Duden es nicht abgesegnet hat) als Modalverb analysiert und ohne -t gesprochen: Er brauch nicht (zu) kommen. Hingegen würde niemand er benötig sagen.

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