Sprache und Denken

Dieser Artikel ist importiert von sprache-politik.ch, einem unterdessen eingestellten Nebenprojekt, basierend auf der Idee:

Sprache konstruiert Realität. Der Diskurs in der Schweizer Politik ist manchmal erschreckend platt; statt über Inhalte zu diskutieren, wird mit sprachlichen Verpackungen (Schlagworten, Bildern) operiert, die wenig aussagen. Was heisst sicher? Was heisst stark? Direkte Demokratie verdient einen inhaltlichen Diskurs.

Implizit haben die bisherigen Artikel bereits Bezug genommen auf Theorien zu Sprache und Denken, die prominent von George Lakoff vertreten werden. Eine Einführung zu den Theorien von Lakoff und seiner Schülerin Elisabeth Wehling.

Grundlage: Welt und Worte

Worte sind nicht allgemeingültig und bezeichnen nicht objektive Gegebenheiten in der Welt. (Lakoff/Wehling 2008: 148)

So die Grundüberlegung. Es geht also um die Beziehung zwischen unseren Worten und der Realität, das Erfassen der Welt in Sprache. Diese Beziehung sei immer wacklig, denn wir machen uns ein Bild der Welt in unserem Gehirn, und aufgrunddessen verstehen wir die Welt:

Wir verstehen nicht, was jemand an sich sagt, sondern wir verstehen immer nur das, was unser Gehirn daraus macht, indem es die Leerstellen wertend ausfüllt, die Idee interpretiert – also, wir verstehen, was wir denken. (Lakoff/Wehling 2008: 153f.)

Der Dreh- und Angelpunkt ist also das Gehirn. Aber wie funktioniert das Gehirn?

Das Gehirn

Das Gehirn ist als neuronales Netz aufgebaut. Es besteht aus Knoten, die verbunden sind; Knoten und Verbindungen sind formbar: Oft Wahrgenommenes wird gestärkt (so lernen wir z.B. Vokabeln), und je häufiger zwei Dinge zusammen gesagt oder erlebt werden, desto stärker werden sie verbunden.

Wenn ich elf bin und Zug höre, verbinde ich damit Urlaub – wenn ich jeden Tag zur Arbeit pendle, denke ich aber vielleicht an überfüllte, schlecht klimatisierte Züge. Das heisst: meine Sicht auf die Welt hängt von meinem Erleben ab, das sich duch Wiederholung im Gehirn festsetzt und Assoziationen und Denkmuster formt.

Eine Art des Erlebens ist auch Sprache: Sie ruft Knoten im Hirn auf und verstärkt sie („Reinforcing„), verbindet sie und formt so ebenfalls Denkmuster in Form von Konzepten, Bildern oder Narrativen.

Eine spezielle Art des sprachlichen Zugriffs sind Metaphern (Wehling: „Gehirn nimmt einen Schleichweg“).

Metaphern

Metaphern sind Übertragungen auf einen anderen Kontext. Beim Satz „Deine Worte sind ein Schlag in mein Gesicht“ ist die Übertragung offensichtlich, weniger hingegen bei Metaphern wie „Es geht vorwärts für die Kandidatin, ihr Kontrahend liegt zurück“.

Der Kontrahend ist eigentlich der ‚Gegner im Kampf‘ – hier wird also ein Kontext aufgerufen: „wir sind im Krieg“ – Mitspieler würde z.B. eine andere Assoziation hervorrufen.

Vorwärts und zurück sind mit einer Wertung versehen: gemeint ist im Grunde ‚besser‘ und ’schlechter‘. Solche räumliche Metaphern sind sehr häufig (man denke an hohe Preise oder tiefes Ansehen). Sie funktionieren nach der Logik oben/vorne ist mehr (ist positiv), unten ist weniger (ist negativ). Lakoff misst diesen Verknüpfungen eine hohe (sic) Bedeutung zu.

Metaphern suggerieren also oft eine Interpretation: „Steuern sind Diebstahl“ ruft ein ganz anderes Bild auf als „Steuern sind ein Geschenk an die Allgemeinheit“.

Metaphern zeigen laut Lakoff auch, dass Worte nicht die Realität bezeichnen; vielmehr konstruieren sie sie. Indem eine Parallele zwischen Steuern und Geschenk hergestellt wird, wird ein Deutungsrahmen vorgegeben – so genanntes Framing.

Framing

Derselbe Inhalt kann verschieden geframt („eingerahmt“) werden. Wenn in den Nachrichten verkündet wird, dass der Präsident „in einen sich schon Jahre hinziehenden Krieg zieht“, hat dies einen ganz anderen Fokus, als wenn er „die Armee gegen Bedrohungen einsetzt, um das Heimatland zu verteidigen“.

Sprache wird eingesetzt, um die eigene Sicht auf die Dinge zu vermitteln. Das ist kein Skandal und nicht verwerflich. Wir versuchen ständig, anderen eine Perspektive anzubieten, die unsere Seite unterstützt („Mami, darf ich? Der Nachbarsbub darf auch!“). Framing ist Teil der alltäglichen, aber insbesondere auch der politischen Auseinandersetzung und kann für gute und schlechte Ziele eingesetzt werden. Zu „politischer Mündigkeit“ gehört es, diesen Mechanismus zu erkennen.

Denken Sie nicht an einen rosaroten Elefanten!

Aus dem Aufbau des Gehirns folgt noch etwas: Verneinung verstärkt das ursprüngliche Bild. In Lakoffs Worten:

When we negate a frame, we evoke the frame.

Gibt eine Partei vor, es gebe eine Massenpinguinisierung, und die anderen sagen nein, es gibt keine Massenpinguinisierung, bleibt in den Köpfen der Begriff Massenpinguinisierung kleben. Strategisch geschickter wäre, ein eigenes Frame zu prägen.

Und was heisst das jetzt?

Die Theorien nochmals kurz im Schnelldurchlauf:

  • Sprache ist nicht objektiv. Wir wählen Worte aufgrund unserer individuellen Wahrnehmung der Welt. Und wir verstehen die Worte anderer aufgrund unserer Wahrnehmung („Wir verstehen, was wir denken“).
  • Unser Gehirn ist formbar. Erlebnisse, aber auch Sprache, beeinflussen den Aufbau und damit unsere Wahrnehmung. Durch Wiederholung bilden sich Denkmuster (Konzepte, Bilder, Narrative) heraus.
  • Metaphern, also Übertragungen von Worten auf einen anderen Kontext, sind Denkmuster. Viele erkennen wir nicht als solche, sie leiten aber unser Denken und können eine Interpretation suggerieren.
  • Framing bezeichnet ein strategisches Vorgehen im Gespräch, um anderen ein Denkmuster anzubieten, einen Rahmen vorzugeben.
  • Negation ist kontraproduktiv – denn gezwungenermassen wird dabei auch das Verneinte im Gehirn verstärkt.

Daraus lassen sich nun Schlüsse ziehen. Zum Beispiel: Fasse deine Botschaft in Metaphern, die ziehen. Mach ein eigenes sprachliches Frame auf, denn der Rahmen des politischen Gegners unterstützt seine Argumente. Benutze nicht die Worte, welche die anderen vorgeben.

Diese Effekte lassen sich nachweisen. Man kann sich hingegen darüber streiten, wie wichtig sie im politischen Diskurs im Vergleich zu anderen Faktoren sind – nicht alles ist Sprache in der Politik, aber ohne Sprache keine Politik.

weiterlesen, -hören und -schauen

Zitate stammen, wo nicht anders gekennzeichnet, aus: George Lakoff, Elisabeth Wehling (2008): Auf leisen Sohlen ins Gehirn. Politische Sprache und ihre heimliche Macht. Zitiert nach dem Auszug in Hoffmann, Ludger (Hg.): Sprachwissenschaft. Ein Reader. 3. Auflage, 2010. S. 147–154.

Mehr von Lakoff und Wehling:

Der BBC-Podcast More or Less behandelt in der Ausgabe vom 16.4.17 die Tücken des „Debunking“ (Widerlegen von Falschmeldungen) und den Kampf mit dem „Rosa-Elefant-Effekt“ (ab Min. 6:50 bis ca. 14:40).

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