ägscht

Ähnlich praktisch wie eingeschobenes dänk (und glaubs) ist ägscht/ächt.

Die Partikel kennzeichnet in Fragesätzen eine Vermutung:

Sind’s ägscht go poschte?
‚Ob sie wohl einkaufen gefahren sind?‘

Hät er üs ächt vergesse?
‚Hat er uns etwa vergessen?‘

Wie goots ihre ägscht?
‚Wie es ihr wohl geht?‘

Nach meinem Gefühl ist damit keine „Antworterwartung“ verbunden (weder positiv (ja, sie sind wohl einkaufen) noch negativ), sondern die Partikel verstärkt einfach die Infragestellung (im Sinne von Ich frage mich, ob …). Die standarddeutsche Umsetzung ‚Wie es ihr wohl geht?‘ versucht diese Verstärkung zu erfassen – der Gehalt (linguistisch: die Proposition) bleibt indes derselbe wie bei der Frage ohne Partikel: ‚Wie geht es ihr?‘

Das Wörtchen wird auch gern zur Abtönung eingesetzt:

Händ Sie mir ägscht no en Sack?
‚Können Sie mir vielleicht noch eine Tüte geben?‘

Dies lässt sich wohl so erklären, dass eine grössere Infragestellung meines Wunsches bewirkt, dass er weniger offensiv und ergo „netter“ daherkommt – Ich nehme mich etwas zurück.

Entwicklung von Form und Bedeutung

Die Partikel geht zurück auf das ahd. Adjektiv ekkorôdi ‚gering, dürftig‘, wovon das Adverb ekkhorôdo abgeleitet ist, dass ‚bloss, nur‘ bedeutete. Mit der semantischen geht eine lautliche „Abnutzung“ einher: ebenfalls belegt sind die Formen ekrôdo, echert/ochert.

ecchert tanne bringet sie iro uneri fure dih (Np 20.13)
Nur dann bringt sie ihre Schamlosigkeit über dich‘ (zit. nach Autenrieth 2002: 156, Beispiel 589)

Im Mhd. taucht die Partikel meist in den Formen eckert, eht auf. Die lautliche Reduktion ist also weiter fortgeschritten. Die Bedeutung verschiebt bzw. verbreitert sich: Neben ‚bloss, nur‘ wird sie auch hervorhebend und verstärkend benutzt (‚halt, eben, einfach‘), zum Beispiel:

ich hoere wol, ez muoz et sîn: … (Trist. 11069–11071)
‚Ich sehe schon, es muss eben/halt sein: …‘ (zit. nach Autenrieth 2002: 160, Beispiel 604)

Im Standard-Neuhochdeutschen ist die Partikel nicht erhalten (evtl. ist sie mit echt vermischt worden, s.u.), in Dialekten in der Schweiz sowie im Bayrischen, Schwäbischen, Badischen und Elsässischen allerdings schon. Wie ergab sich nun die Bedeutung in Fragesätzen, wie sie oben dargelegt wurde?

Bei der Verwendung in Fragesätzen geht die Infragestellung auf die Partikel über – die Einstellung, dass das halt so ist, wird ebenfalls in Frage gestellt. Wenn man halt zu das ist so auffaltet und dann beide Elemente in Frage stellt, erhält man denselben Effekt:

Er ist halt dummEr ist dumm. Das ist so.

Ist er dumm? Ist das so?Ist er etwa dumm?

Daran lässt sich die Bedeutungsveränderung von ägscht nachvollziehen. Die anderen Verwendungen (in Aussagesätzen, in Wünschen als Konjunktion ‚wenn nur‘ etc.) sind hingegen aufgegeben worden.

Lautlich besteht grosse Variation: ächt, ägscht, ächscht, ächter(s), ächtert, ächtischt,… (vgl. Idiotikon 1,82: echt, 1,77: achst). Da neben ächt noch Formen auf -er vorhanden waren, konnten letztere als „Komparativbildung“ zu ächt reanalysiert werden (durch Einfügen eines -t-, vgl. ächter/ächters/ächtert gegenüber ahd./mhd. eckert), worauf zusätzlich ein Superlativ mit -st gebildet wurde: ächtst. Diese Form weist allerdings eine unpraktische Ansammlung von Konsonanten auf (/-xtʃt/), also wurde ächtst in manchen Dialekten zu ägscht/ächscht vereinfacht.

Das andere „echt“

Nichts damit zu tun hat nhd. echt, das von mitteloberdt. ehaft ‚rechtmässig‘ kontrahiert (aft) und ins Niederdeutsche übernommen wurde (acht > echt), von wo es wieder ins Hochdeutsche gelangte.

Dieses echt kommt in ähnlichen Kontexten vor, aber mit anderer Bedeutung:

Ist er echt darauf reingefallen!?
‚Ist er wirklich darauf hereingefallen?‘

Auf Schweizerdeutsch:

Isch er ächt druf inegheit?
‚Ist er wirklich darauf hereingefallen‘

Etwas anderes ist jedoch:

Isch er ägscht (ächt) druf inegheit?
‚Ob er wohl darauf hereingefallen ist?‘

Die zwei ächt berühren sich also in den Dialekten, wo nicht ägscht (o.ä.), sondern ächt gesagt wird (in den meisten Dialekten gibt es natürlich Variation; ich sage z.B. eher ägscht, kenne aber viele Leute, die ächt sagen). Der Unterschied ist dann nur noch an der Betonung erkennbar.

Quellen

  • Althochdeutsches Wörterbuch: eckorôdo
  • Mhd. Handwörterbuch (Lexer): eht
  • Mittelhochdeutsches Wörterbuch von Benecke, Müller, Zarncke: ëht
  • Idiotikon (1,77; 1,82)
  • Kluge (echt)
  • Autenrieth, Tanja (2002): Heterosemie und Grammatikalisierung bei Modalpartikeln. 154–176, insbes. 173f. (laut ihr ist damit eine „negative Antworterwartung“ verbunden, dazu auch 148f.)

One Comment

  1. Christoph Landolt

    Perfekt, lieber Kim! Was soll ich da in einer meiner Wortgeschichten überhaupt noch bieten können… 🙂

    En liebe Gruez!

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