Bäume mit instabilen Liquiden

Baum heisst auf Latein arbor.

Im Französischen wurde daraus arbre, im Italienischen albero, im Spanischen árbol, im Portugiesischen árvore. Es sind also einige Verschiebungen von /r/ zu /l/ zu sehen:

Latein arbor r-r
Französisch arbre r-r
Italienisch albero l-r
Spanisch árbol r-l
Portugiesisch árvore r-r

Phonologisch werden /l/- und /r/-Laute oft als „Liquiden“ zusammengefasst – nicht, weil sie unbedingt ähnlich produziert werden im Mundraum, sondern weil sie sich in vielen Sprachen ähnlich verhalten:

  • Phonotaktisch (in Bezug auf die Rolle in der Silbe) verhalten sich /l/ und /r/ ähnlich: In vielen slavischen Sprachen können sie z.B. vokalisch verwendet werden (man denke an die Insel Krk).
  • Bekannt ist die Neigung asiatischer SprecherInnen, /r/ und /l/ zu vermengen, da z.B. im Japanischen diese Unterscheidung phonologisch nicht massgeblich ist.
  • In vielen Sprachen ist eine Schwundtendenz neben Vokalen zu beobachten: z.B. in schweizerdeutschen Dialekten mit l-Vokalisierung Pilz /pɪut͜s/, im Deutschen und Englischen (Britisch, Australisch und US-Ostküste, vgl. Bernie Sanders) z.T. nicht-rhotisches /r/ in Lehrer /leːrɐ/ bzw. teacher /tʰiːtʃə/.

Was wir als „verschiedene Aussprache von /r/“ („hinten“, „vorne“, „gerollt“) wahrnehmen, sind phonologisch übrigens auch Laute, die zuerst einmal nichts miteinander zu tun haben. Ihre Gemeinsamkeit ist die hohe Sonorität, welche sie in die nähe von Vokalen rückt.

Es ist auffällig, dass bei lat. arbor im Italienischen und Spanischen ein /r/ durch /l/ „ausgetauscht“ wurde – jedoch nicht dasselbe. Dies deutet darauf, dass das Wort als schwer aussprechbar wahrgenommen wurde, was einer Dissimilation Auftrieb verlieh (Dissimilation beschreibt das „Ausweichen“ eines Lautes auf einen anderen, wenn im näheren Umfeld nochmals derselbe Laut steht: vgl. z.B. mhd. klobelouch > nhd. Knoblauch).

Im Spanischen sind „spontane“ (unregelmässige) Umsprünge von /r/ zu /l/ nicht selten, z.T. auch mit Metathese (Vertauschung) über Silben hinweg, z.B. lat. periculum ‚Gefahr‘ > span. peligro (regelmässig wäre *periglo) – dieser unregelmässige (nicht bei allen r stattfindende) Lautwandel hat im Spanischen einen „tangential etablierten“ Status entwickelt, wie die Liste von spanischen Wörtern mit Liquidentausch in der englischen Wikipedia belegt.

Neben albero/árbol steht allerdings in beiden Sprachen das Adjektiv arboreo/arbóreo mit erhaltenem (oder durch Entlehnung aus dem Latein wieder eingeführte) Doppel-r.

4 Comments

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  2. Peps

    Ich habe auch instabile Liquide im Keller.
    Die meisten kommen aus Italien. Einige auch aus Frankreich.

    Tolle Seite, Kim!

    • Kim

      Merci 🙂

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