links, rechts und geradeaus

Zwei Fragen standen am Anfang dieses Beitrags: Warum klingen die Wörter für rechts in verschiedenen Sprachen so ähnlich – right, droite, derecha? Und was ist mit ‚geradeaus‘ in romanischen Sprachen – tout droit, (tutto) diritto, todo derecho – geht das auf dasselbe Wort zurück?

gerade und rechts: *h₃reg̑-

Die idg. Wurzel *h₃reg̑- bedeutet ‚gerade richten, ausstrecken‘. Davon kommen lat. rēx ‚Herrscher, König‘ sowie regō ‚leiten, lenken‘ (mit dem PPP rēctus) – und davon (um zur Verwirrung mit noch mehr verwandten Wörtern zu schmeissen) die Regierung, der Dirigent, der Rektor, die Erektion (‚Aufrichtung‘) und die Regie.

Von verstärktem lat. dī-rigō ‚gerade richten‘ und dem Partizip dirēctus ‚gerade (gerichtet)‘ stammen frz. droite ‚rechts‘ und sp. derecha ‚rechts‘ ab. Auf Lateinisch hiess ‚rechts‘ allerdings dexter, das im it. destra fortgeführt ist (so auch altgriech. δεξιός dexiós). Die primäre Bedeutung von dīrēctus war also ‚gerade‘, wie auch in der deutschen Entlehnung direkt. Diese Bedeutung hat sich in den romanischen Sprachen erhalten, wie z.B. frz. tout droit zeigt. Allerdings kamen sich die zwei Bedeutungen ‚rechts‘ und ‚geradeaus‘ wohl in die Quere; deshalb tout droit.

Um chronologisch korrekt zu bleiben: Es ist anzunehmen, dass die mit tout/tutto/todo verstärkte Variante schon vorhanden war, als das Französische und das Spanische dasselbe Wort für ‚rechts‘ nahmen; it. diritto bräuchte nämlich kein vorangestelltes tutto, um es von destra abzusetzen – allerdings kann tutto im Italienischen auch eher weggelassen werden.

Zusammengefasst:

rechts geradeaus
Latein dexter dīrēctus
Italienisch destra (tutto) diritto
Französisch droite tout droit
Spanisch derecha todo derecho

Die Wurzel *h₃reg̑- ist auch in den germanischen Sprachen fortgeführt, z.B. in rechts und right. Nur die skandinavische Form weicht ab: Auf Schwedisch heisst ‚rechts‘ höger, was mit einer Wurzel in Zusammenhang gebracht wird, die ’stark‘ bedeutet (also ‚die stärkere Hand‘).

rechts ist gut, wahr und richtig

Damit kommen wir zur Semantik. Das Bedeutungsfeld, in dem sich alle Wörter für rechts bewegen, ist positiv konnotiert. Dass die rechte Hand darüber definiert wird, dass sie stärker ist als die linke, ist noch einigermassen neutral – definitiv wertend sind aber Bezeichnungen wie „die bessere Hand“, die sich im Mittelhochdeutschen finden, und auch recht und richtig, die sichtbar verwandt mit rechts sind. Gr. δεξιός dexiós war ebenfalls sehr positiv konnotiert: neben ‚rechts‘ bedeutete es auch ‚Glück verheissend, günstig; geschickt, gewandt, klug‘, ebenso lat. dexter und das slavische pravo ‚rechts‘ (man erinnert sich vielleicht an die Prawda, vormals offizielles Sprachrohr der russischen Kommunistischen Partei).

Warum diese Verbindung von rechts und richtig? Einige Hinweise gibt der Wikipedia-Artikel Händigkeit:

Eine klare Überrepräsentation der Rechtshändigkeit findet sich in allen gut untersuchbaren menschlichen Kulturen; historische oder geographische Unterschiede lassen sich nicht feststellen.

Bis heute ist die Frage, ob die Gene oder die Umwelt für die Händigkeit verantwortlich sind, nicht abschließend geklärt.

links ist suspekt

Links ist die andere, die falsche, die ungeschickte Seite. Die Wörter für ‚links‘ gehen auf viele verschiedene Wurzeln zurück, die jedoch semantisch zumeist negativ konnotiert sind bzw. mit der Zeit negativ konnotiert werden und dann wieder aus diesem Bereich erneuert werden:

  • im Latein gibt es für links scaevus, das auch ‚linkisch‘ bedeutet, laevus ‚links; linkisch; Heil kündend; Unheil kündend‘, wobei die gegensätzlichen Bedeutungen darauf zurückzuführen sind, dass Auguren je nach Ausrichtigung die glückbringende Himmelsrichtung linkerhand oder rechterhand hatten, und sinister, welches ebenfalls die Bedeutungen ‚links; linkisch, verkehrt; Heil kündend; Unheil kündend‘ vereint – unser sinister zeugt noch von der anscheinend recht dominanten negativen Konnotation.
  • Italienisch hat neben sinistra auch a manca, das von lat. mancus ‚verstümmelt; mangelhaft‘ kommt (vgl. dt. Manko, frz. manquer)
  • Französisch gauche ist wohl mit gauchir ‚verbiegen‘ verwandt, die Herkunft ist umstritten; ’schief‘ ist jedenfalls nicht ‚gerade‘, und von da landet man mit etwas Fantasie schnell bei krumme Dinger drehen bzw. nicht mit rechten Dingen zugehen.
  • Spanisch izquierda wird aufs Baskische zurückgeführt, wo es ‚ungeschickte, falsche Hand‘ bedeutet haben soll.
  • Deutsch links ist sichtlich verwandt mit linkisch, also wieder aus dem Bedeutungsfeld ‚ungeschickt‘. Das Verb linken zeigt die negative Konnotation deutlich.
  • Englisch left wird mit Worten in Verbindung gebracht, die ’schwach‘ bedeuten.
  • Schwedisch vänster setzt das Wort fort, das im Mittelhochdeutsch und frühen Mittelenglisch noch als winster (o.ä.) in Benutzung war für ‚links‘. Es wird auf die Bedeutung ‚freundlich‘ zurückgeführt.
  • So auch altgriechisch ἀριστερός aristerós, welches auf ἄριστος áristos ‚bester‘ zurückgeht (vgl. Aristokratie, ‚die Herrschaft der Besten‘)

Es gibt also zwei Muster: einerseits ist links das Schwache, Ungeschickte oder gar Falsche, andererseits das Bessere, Freundliche – wie geht das zusammen?

Die Wörter für ‚links‘ sind, wie aus der obigen Liste ersichtlich ist, erheblich unstabiler als diejenigen für ‚rechts‘. Das mag damit zu tun haben, dass man links als „die andere“, zweite Hand neben der „richtigen“ rechten sah und diese immer wieder neu apostrophierte in Abgrenzung zur rechten Hand – paradoxerweise auch als ‚die bessere‘ (griechisch), ‚freundlichere‘ (germanisch). Dies hat wohl mit einer Tabu-Vorstellung zu tun: man wollte das Unheil nicht heraufbeschwören, also verhüllte man es mit einem Euphemismus. So könnte man auch erklären, warum izquierda das alte siniestra ersetzte, das düstere Assoziationen transportierte; und auch sinister selbst soll angeblich wie ἀριστερός auf einen Euphemismus zurückgehen (’nützlicher‘) – dies wäre ein Fall einer Euphemismus-Tretmühle.

1 Kommentar

  1. Elisabeth Leutert

    hallo Kim
    das ist spannend zu lesen und entlockt manches AHA!!!
    Viel Arbeit und Freude steckt dahinter,-schön dass ich
    daran teilhaben kann ….

    Mache mir Gedanken zu rechts und links in der Politik
    beim Lesen dieser Arbeit….

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