Computer says you

Das Englische hat das Problem nicht: Wie spricht ein Computer den Menschen an, der davor sitzt? Apple wechselt mit der nächsten Version des Betriebssystems von Sie zu du. Das hat mich neugierig gemacht: Wie sieht es in anderen Sprachen aus? Und wie unter Linux und Windows?

Die Unterscheidung von Siezen und Duzen (oder allgemeiner: T-V distinction) hat verschiedene Konnotationen, die von Sprache zu Sprache sehr verschieden sein können. Im Deutschen spielen z.B. folgende Dimensionen eine Rolle:

  • GesprächspartnerIn fremd/bekannt
  • Situation formell/informell
  • Distanz
  • Alter
  • Milieu
  • persönliche Präferenz

Aus der Überlappung ergeben sich Grenzfälle, z.B. Kassierer im selben Alter (Alter → duzen; fremd → siezen; formell → siezen) oder Kellnerin im Restaurant (fremd → siezen; halb-formell → ?; Milieu → ?), ausserdem gibt es Spezielfälle wie soziale Interaktion im Internet, wo duzen auch unter Fremden Standard ist.

Neben Sie und du gibt es natürlich noch viele weitere Abstufungen bei Höflichket und sozialen Gepflogenheiten, z.B. möchten Sie vs. wollen Sie (lexikalisch) oder Sind Sie sicher, dass sie wollen vs. Wollen Sie wirklich (syntaktisch), dazu verschiedene Formen des Namens sowie Titel.

Firmen, die ihre Kunden duzen

Firmen, die jugendlich wirken wollen, Sprechen ihre Konsumentinnen oder Benutzer mit du an. Ein solches Du kann aber wieder mit persönlicher Präferenz kollidieren oder amerikanisch wirken, was ironisch ist, da das Englische eben keine pronominale Unterscheidung macht; in Geschäftskontexten ist Anrede mit Vornamen in den USA allerdings üblicher als auf Deutsch.

Facebook, Twitter und Apple duzen auf ihren Websiten die BesucherInnen; Amazon, Dropbox, Microsoft, Netflix, eBay und Google nicht. Bei sozialen Netzwerken liegt das du nahe: es geht nicht ums Geschäft (vermeintlich), sondern ums Vergnügen; wer etwas verkauft, möchte hingegen seriös auftreten. Google, die sich sehr jung und unkompliziert geben, duzen interessanterweise nicht; seriös zu wirken ist offenbar wichtiger als die Betonung der eigenen Unkonventionalität, bei der Google sonst wenig Scheu zeigt.

Apple fällt aus dem Rahmen: Sie haben es aufs Geld abgesehen, wollen aber trotzdem gut Freund sein. Mir persönlich kommt es immer etwas seltsam vor, wenn ich in einem kommerziellen Kontext geduzt werde; so mit der Swisscom, die entschied, junge Kunden zu duzen („Hoi Kim! hast du schon von unserem Angebot gehört?“), und so geht es mir auch im Apple Store, wo man anlässlich eines Support-Termins mit Vornamen identifizert wird.

macOS 10.12 Sierra

Mit dem jüngsten Betriebssystem-Update stellt Apple nun also vom Sie aufs Du um:

Deutsch

Die Umstellung hat sich schon angekündigt, mag man einwenden: Neben Apples Online-Aufritt und Duzen im Shop werden auch bei Mail-Konversationen mit mehreren Personen nur die Vornamen angezeigt.

Unter einem Artikel zu dieser Neuerung bei MacTechNews sind die User-Komentare gespalten; von positiv über egal bis negativ ist alles vertreten. Jemand empfindet es als Amerikanisierung, jemand als Fehlgriff:

Apple ist nicht mein Kumpel. Apple ist eine Firma und wir haben eine Geschäftsbeziehung. Dieses Einschleichen in meinen Privatbereich mag ich absolut nicht.

Mich hat interessiert, wie das in anderen Sprachen aussieht.

In den skandinavischen Sprachen wird ebenfalls schon lange geduzt – dies ist jedoch keine Überraschung, da dort sowieso das Du die unmarkierte Andrede ist.

Auf Spanisch wird mit dem Update derselbe Schritt vollzogen wie auf Deutsch: von der formellen 3. Person zur 2. Person. Auf Französisch siezt macOS nach wie vor, und auf Italienisch duzt das System den User schon lange:

Ital

Andere Plattformen

Ubuntu 16.04 siezt auf Deutsch, Französisch und Spanisch. Auf Italienisch scheint sich das System zu drücken: oft werden unpersönliche Formulierungen verwendet (dt. ziehen Sie – frz. faites glisser – sp. arrastre – it. trascinare ‚ziehen (Infinitiv)‘; Sind Sie sicher, dass sie herunterfahren wollen? – frz. Voulez-vous vraiment …? – sp. Quiere …? – ital. Chiudere e terminare?, wieder mit Infinitiv)

Schliesslich lässt sich LibreOffice (das streng gesehen nicht zum System gehört) ein Du entlocken (hai ‚du hast‘, salvi ‚du speicherst‘):

Salvare

Die Google-Bildersuche verrät, dass auch unter Windows 10 auf Deutsch gesiezt wird, auf Italienisch aber geduzt, wohl seit Vista (also seit rund zehn Jahren), wobei aber auch öfters unpersönliche Formulierungen anzutreffen sind.

Beim Italienischen zeigt sich – unter Linux wie unter Mac und Windows – eine weitere Schwierigkeit der Software-Mensch-Kommunikation: Wer spricht in welcher Form zu wem? Im Englischen sind Infinitiv und Imperativ formgleich; dass es sich bei Anweisungen von der Maschine an den User wie click here um einen Imperativ (‚klick hier‘, nicht ‚hier klicken‘) handelt, ist wohl klar, aber bei Anweisungen von der Userin an die Maschine (z.B. auf Knöpfen oder bei Checkboxen) ist es schon weniger klar: Shut down – meint das ‚Fahr runter‘ oder ‚runterfahren‘?

Im Deutschen sind Anweisungen an den Computer im Infinitiv verfasst, im Italienischen dagegen im Imperativ:

Ausschalten

Anredeformen im Umbruch?

Die unpersönlichen Formulierungen, die sich im Italienischen häufen, könnten eine Vermeidungstaktik sein, weil unklar ist, welcher Gebrauch angebracht ist. Das wäre ein Indiz dafür, dass der Gebrauch der Anredeformen im Umbruch ist. – Aber vielleicht ist die Verwendung von unpersönlichen Formen im Italienischen einfach verbreiteter oder in diesem Kontext eingebürgert; dies kann ich nicht beurteilen.

Der Switch vom Sie zum Du im Deutschen (und Spanischen, wozu ich aber ebenfalls wenig sagen kann) ist linguistisch, wenn auch nur marginal bedeutsam, so doch interessant: Vor 50 Jahren wäre das, behaupte ich, nicht möglich gewesen, hätte es da schon PCs gegeben.

In Skandinavien zerfiel das alte System der Anredeformen vor ziemlich genau 50 Jahren. Die Ausgangslage war allerdings anders, da es keine Form gab, die dem deutschen Sie entspricht; diese war nur für Untergebene zu gebrauchen, im formellen Umgang unter gleichgestellten Personen musste man sich mit komplizierten Formulierungen behelfen wie „Möchte der Herr noch etwas bestellen?“

In diesem Zusammenhang ist eine Feststellung wichtig, die ein anderer Kommentator auf der oben angeführten Seite hinterliess: „Das Du und höfliche Distanz schließen sich nicht aus.“ – Gerade weil sich in Skandinavien alle duzen, ist die Dimension Nähe/Höflichkeit nicht mehr damit verknüpft; du bezeichnet nicht besondere Nähe wie im Deutschen, sondern es ist schlicht neutral bzw. „unmarkiert“.

Als isolierte Veränderung sagt die Entscheidung eines Softwareherstellers, die BenutzerInnen seines Betriebssystems zu duzen, nicht viel aus; Im Deutschen ist Siezen heute meines Erachtens nicht so instabil wie im Schwedischen vor 50 Jahren und könnte uns noch lange erhalten bleiben. Das deutsche Duz/Siez-System ist ein komplexes Geflecht, was auch bereichernd sein kann, denn die Sprache lebt vom Spiel mit Bedeutungen (z.B. Ironie, wenn man gute Freunde siezt; anerkennendes Du, mit dem die Geschäftsbezeihung (vermeintlich) einen persönlichen Touch bekommt – und noch Feineres). Die individuelle Ebene ist nicht zu unterschätzen, wie sich bei den User-Kommentare bei MacTechNews zeigt: Manche Leute werden gern geduzt, manche nicht.

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