Mich fasziniert, wie wenig zimperlich Sprachwandel vor sich geht: Man nimmt sich, was da ist, und baut ein System. Doch auch wenn solche Sprachsysteme tendenziell immer als geschlossen dargestellt werden, wird immerzu umorganisiert, wie ein Haus, das im Innern ständig umgebaut wird.
Wir lernen das Englische, wie es zur Zeit gesprochen wird, wir lernen eine ausgewählte Sprachstufe Latein oder welche Sprache auch immer und nehmen es als in sich geschlossenes System wahr – doch in Wahrheit wird ständig umgebaut; hier wird ein Zimmer angebaut (z.B. ein periphrastisches Perfekt), dort ein Stock herausgerissen (z.B. das Präteritum im Schweizerdeutsch, süddeutschen Mundarten und im Afrikaans), es wird saniert, neu möbliert und an den Türrahmen, Stukkaturen, Griffen herumgebastelt – nur um die Zimmer ein paar Jahrhunderte später wieder zu verlassen und einen neuen Stock mit derselben Akribie aufzubauen und einzurichten.
Das ruft nach Anschauungsmaterial. Ein schönes Beispiel finde ich oft benutzte Verben, die aus verschiedenen Paradigmata „zusammengeklaut“ sind. Solche gibt es sowohl in den romanischen als auch in den germanischen Sprachen (und sicher noch in vielen weiteren).
Im Französischen und Spanischen liegt ein solcher Fall beim Verb für „gehen“ vor. Die lateinischen Präsens- und Imperfekt-Paradigmata der Verben ire (gehen), vadere (gehen, schreiten) und ambulare (gehen, spazieren):
Das Französische hat sich bei ambulare und vadere bedient:
Das Spanische hat dagegen aus ire und vadere ein neues Verbparadigma zusammengesetzt:
Das Paradigma des deutschen Verbs sein ist ebenfalls ein Beispiel für Suppletion (vgl. Wikipedia):
Weiteres Anschauungsmaterial bringt der Vergleich von Zeitformen verschiedener Sprachen. Hier werden oft ganze Kategorien von Formen („Stockwerke“) umgestaltet: Nimmt man wieder dieselben Sprachen, sieht man z.B., dass Französisch ein periphrastisches Perfekt entwickelt hat (elle a fait, sie hat getan), welches das lateinische Perfekt (fecit) fast gänzlich abgelöst hat – es existiert noch die literarische Form elle fit, im Spanischen ist dieses „einfache Perfekt“ in Gebrauch gebliben: hizo. Das Futur wurde im Spanischen wie im Französischen aus dem Infinitiv (daher das r) neu gebildet: frz. tu diras (du wirst sagen), span. dirás, dagegen lat. dices; frz. tu aimerai (du wirst lieben) vs. lat. amabis (mit Tempus-Zeichen b).
Im Deutschen findet sich ebenfalls ein periphrastisches Perfekt, welches das Gemeingermanische meines Wissens noch nicht hatte. Dann die Konjunktiv-Bildung durch Umlaut, der Wegfall des einfachen Futurs (ohne periphrastische Umschreibung)… – An Beispielen mangelt es nicht.
völliger bull shitt garnicht das wo nach ich suche