Nachdem Peter Rothenbühler bereits in der NZZaS sein Unwissen zum Besten geben durfte, wurde nun im Zischtigsclub von SF1 in seiner Anwesenheit über Sprachen in der Schweiz und Schweizer Sprachpolitik diskutiert. Dies unter dem schaurigen Titel „Bonjour, Grüezi, Hello! – Verstehen Sie Schweizerisch?“.
Der Genfer Nationalrat Antonio Hodgers hatte die Debatte vor einigen Wochen eröffnet. Er war nach Bern gezogen um Deutsch zu lernen und merkte, dass die offizielle Landessprache im Alltag nur marginal vorkommt und alle Dialekt sprechen. Ich verstehe seine Ernüchterung, doch ich möchte zu bedenken geben, dass die Deutschschweizer nach etlichen Jahren (in meinem Falle sechs) Französischunterricht die Westschweizer auch nicht ohne zusätzlichen Effort verstehen. Es ist normal, dass man „unter sich“ die eigene Sprache ohne Rücksicht auf Nicht-Muttersprachler spricht.
In der Schweiz, wo Dialekte in sehr vielen Domänen (z.B. am Arbeitsplatz, im Rundfunk, z.T. auch bei offiziellen Anlässen) gebraucht werden, ist das in der Tat nicht einfach für jemanden, der von aussen kommt. Wenn man jedoch das aufgeladene Verhältnis von Schweizerdeutsch und Standardsprache angreift, wird sich nicht viel bewegen; bittet man eine Deutschschweizerin, Hochdeutsch zu sprechen, wird sie das aber gerne tun. Oder wie Pedro Lenz ausführt: Schon in Schottland stand er mit seinem Englisch am Berg. So realistisch muss man wohl sein, zu erkennen, dass es zusätzliche Hürden, unter anderem in Form von Varietäten, gibt. Man kann froh sein, wenn es nicht zusätzlich noch Unterschiede bei Verhaltensweisen gibt, die einem das Einleben erschweren.
Die Sprachen, die wir in der Schule lernen, sind also nicht „fixfertig für den Gebrauch“. Allerdings ist der Status des Schweizerdeutschen in der Tat eher hoch für einen Dialekt, und deshalb wäre es vielleicht gar nicht schlecht, etwas Schweizerdeutsch zu lernen in der Westschweiz.
Kommen wir zum schwierigeren Fall: Peter Rothenbühler, seines Zeichens Medienfuzzi und Schaumschläger-Journi. Jedes Mal, wenn er seinen Mund auftut, kommt irgendeine ach so provokante These heraus, für die er ein paar Fakten zurechtbiegt und ein paar Differenzierungen sausen lässt. Diese Vorstellung gibt er mit einem Gestus, als hätte er alles durchschaut, weil er zweisprachig aufgewachsen ist, während er eigentlich nicht die geringste Ahnung hat. Seine Überheblichkeit sieht man etwa daran, dass er dem Sprachwissenschaftler „recht gibt“ (!), dass es ein Schweizer Hochdeutsch gebe (40:20), als ob dies verhandelbar wäre.
Er hat zwei Thesen:
- Früher war das Hochdeutsch der Deutschschweizer besser
- Schweizerdeutsch ist keine „richtige Sprache“, sondern ein Dialektwirrwarr
Zu These 1: Früher konnten die Leute noch Hochdeutsch, wollen wir uns folgenden Auszug zu Gemüte führen (10:00-10:55):
Rothenbühler: Das grosse Problem, das ich sehe, ist, dass die Deutschschweizer ihre erste Landessprache nicht beherrschen. Sie können nicht mehr Hochdeutsch! Es kann kein Deutschschweizer ein anständiges Hochdeutsch sprechen, selbst gebildete Leute. Und dann, [Widerspruch von Werlen aus dem Hintergrund] dann ziehen sie sich auf den Dialekt zurück und die Dialekte sind auch ein Mischmasch und Sie haben gesagt –
Werlen: Nein, die sind überhaupt kein Mischmasch, da muss ich als Linguist jetzt wirklich mal intervenieren. Ich meine, das Hochdeutsche, wie es in der Schweiz gesprochen wird, ist eine Form des Hochdeutschen, die nicht die gleiche Form ist wie zum Beispiel in der Bundesrepublik Deutschland. […] Und deswegen, diese normative Vorstellung, „wir müssen alle Hochdeutsch sprechen wie der alte Bundeskanzler Schmidt es getan hätte“, das ist falsch.
Ab 18:30 führt Linguist Werlen aus, dass „das Mass an Fremdsprachigkeit in der Deutschschweiz heute so gross ist wie nie zuvor“. Da kann ich einfach nicht recht glauben, dass unser Hochdeutsch so viel schlechter als das vor hundert Jahren sein soll.
Ein weiteres Lamento aus Rothenbühlers Mottenkiste ist, dass sich das Schweizer Hochdeutsch zu sehr ans Deutsche angleicht – die alte Leier von der Sprache, die sich möglichst nicht verändern solle, der böse Einfluss von Deutschland, der böse Einfluss von Amerika, als ob die Globalisierung nichts verändern würde – aber das müssen wir jetzt nicht schon wieder durchkauen, oder? Es gibt übrigens viele Beispiele von Sprachen, die ihren heutigen Status nur haben, weil sie sich bei anderen Sprachen bedient haben – zum Beispiel das moderne Englisch, dessen Wortschatz sich zu einem nicht unerheblichen Teil aus dem Französischen und Lateinischen speist.
These 2: Schweizerdeutsch ist keine „richtige Sprache“, sondern ein Dialektwirrwarr
Dazu gibt Herr Rothenbühler zu Protokoll (30:00-30:55):
Ich bin auch der Meinung, dass die Dialekte nicht schwierig sind. […] Die Dialekte, wie sie heute gesprochen werden, sind eher einfach und ein bisschen primitiv wenn man’s vergleicht mit einer richtigen literarischen Sprache wie es das Hochdeutsche darstellt.
Und ich weiss, dass die Westschweizer jungen Leute Schweizerdeutsch nicht nicht lernen wollen, weil sie finden, es ist zu schwierig, sondern weil sie sagen: „Hochdeutsch ist eine richtige Sprache mit Literatur, mit einer Syntax, mit einer Orthografie und das entspricht den anderen Literatursprachen wie Italienisch, Französisch und so, die kodifiziert sind. Und dieses Mischmasch von Dialekten, was soll ich lernen? Zürichdeutsch? Berndeutsch? Das will ich nicht in einer Schule lernen, ich will zuerst gut Hochdeutsch lernen.“
Mit dem letzten Teil hat Herr Rothenbühler natürlich recht; man lernt standardisierte Sprachen. Das ist doch toll, ein Schlüssel zu 100 Millionen Leuten! Man darf sich einfach nicht vorstellen, dass man damit in die Deutschschweiz (oder ins tiefste Bayern) eintauchen kann wie in ein zweites Zuhause. Im Französischunterricht redet man über Frankreich, nicht über die Westschweiz. Das muss man sich schon selbst erarbeiten, was auch kein Problem ist, wenn man das will.
Dann die Aussage, die Dialekte seien „primitiv“, keine „richtige Sprache“ (vgl. 16:30, „Die Hochsprache, die korrekte Sprache“, „gutes [also nicht „schlechtes“] Englisch“) – Schweizerdeutsch ist nicht standardisiert, hat folglich keine Orthografie und ist keine Literatursprache, das ist richtig. Doch die Schweizer Dialekte haben genauso eine Syntax wie jede Sprache. Und einen Bestandteil einer Kultur als primitiv zu bezeichnen, ist doch vo Hindervorgeschter.
Schlaue Sprachpolitik stärkt die Mehrsprachigkeit. Aus Herr Rothenbühlers Warte lässt sich nur aufgepfropfte Sprachpolitik betreiben, welche die Realitäten missachtet und nicht akzeptiert werden wird.
Zusammenfassung der Anklage
Herr Rothenbühler hat das Basiswissen nicht, um über Sprachvarietäten zu diskutieren. Er hat keine Kompetenz, aber Bekanntheit und rhetorische Erfahrung, mit der er sich Raum verschafft für seine Forderungen zur Sprachpolitik oder gar -pflege („man muss doch“). Er kennt die Materie nicht, aber weiss, wie der Hasen läuft, wo man seine Ansichten deponieren muss.
Mir ist dieses Geleier eines Möchtegern-Experten, das jeglicher analytischen Basis entbehrt, zuwieder. In einer Sparte, wo ich eine gewisse Ahnung habe, kann ich Geschwätz als solches einordnen. Was mir Angst macht ist, dass ich es in vielen anderen Themenbereichen nicht einordnen kann und überall ein Rothenbühler dabeisitzt.