Les ch’tis

Gestern im Kino: Bienvenu chez les Ch’tis. Der Film, der in Frankreich alle Rekorde bricht, etwa ein Drittel Frankreichs hat ihn schon gesehen. Es geht um die Ch’tis, die das seltsame Ch’timi oder mit offiziellem Namen Picardische sprechen, und auch sonst vermeintlich ganz seltsam sind, da oben am Nordpol von Frankreich. Mein Urteil: ironisch bis voraussehbarer Witz (aber nicht störend), wer Französisch sehr gut versteht findet’s sicher noch lustiger, liebenswürdige Charaktere, sehr gut zum Abschalten und trotzdem nicht platt. Sehenswert.

Und plötzlich war ganz Frankreich Fan dieser Region mit der seltsamen Aussprache, die eher nach gebrochenem Kiefer als nach Französisch klingt. Picard scheint die linguistische Sammelbezeichnung für die Dialekte ganz im Norden zu sein (einige bezeichnen es sogar als Sprache), die in Nord-Pas-de-Calais – wie die BewohnerInnen – auch als Ch’tis oder Ch’timi bezeichnet werden, was wahrscheinlich von Ch’est ti – ch’est mi (C’est toi – c’est moi) kommt, wonach französische Soldaten im zweiten Weltkrieg die Picards als Ch’ti(mi)s bezeichneten.

Im Film wird einmal erklärt: Die Chtis sprechen /s/ als /ʃ/ (sch) und /ʃ/ als /k/. Les chiens sind also die seinen, nicht die Hunde… Eigentlich ist es ja nicht ganz richtig so rum, denn das Französische hat sich von der Vorgängersprache entfernt, nicht das Picard vom Französischen. die /k/s im Picard waren ursprünglich */k/s, die im Französischen palatalisiert, affrikatisiert und später frikativisiert wurden. Zur Verdeutlichung: lat. canis (Hund, ausgesprochen /kanis/) –> altfrz. *tchien (?) –> frz. chien, während im Picard das /k/ ein velarer Plosiv blieb: kien. Analog entspricht gambe frz. jambe (der Plosiv am Anfang ist „nach vorne gerutscht“ und wurde zu einem Reibelaut, hier einfach stimmhaft). /ʃ/ ist ja nicht so weit weg von /s/ und noch nachvollziehbar. Im Walliserdialekt des Schweizerdeutschen wird /s/ vor /i/ und /e/ zum Beispiel auch als /ʃ/ ausgesprochen: /ʃi/ „sie“.

Soviel zur Phonologie (ohne auf die Vokale einzugehen, die sind immer a pain in the ass ;-)). Dann gibt es noch ein etwas anderes Lexikon, wie man das auch von seiner eigenen Mundart kennt, herauszuheben wären mi/ti statt moi/toi und weitere Vereinfachungen bei Personalpronomen und Basisverben wie sein und haben. Und das tolle heeeeiiiin?, gerne übertrieben betont und ans Satzende gestellt.

edit: Nun ist der Film auch in Deutschland angekommen und wurde dafür synchronisiert – kein triviales Unterfangen, muss man doch die Sprachspielereien irgendwie wiedergeben, aber wie übersetzt man so etwas? Genau darum dreht sich ein Interview mit der Synchronisations-Regisseurin Beate Klöckner (via Text & Blog). In der Schweiz lief der Film ja mit Untertitel – wohl unser Zugeständnis an die drei, äh, viesprachige Schweiz. Und dabei, könnte ich noch hinzufügen, wurden vielmals schweizerdeutsche Wörter wie Lumpen für Lappen benutzt, um den verqueren Dialekt darzustellen. Fragt sich, wie sinnvoll das ist, denn warum sollten SchweizerInnen darüber lachen, wie komisch (das eine wie das andere komisch) ihre eigenen Wörter sind…

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  1. Pingback: Willkommen bei den Sch’tis - Übersetzerische Herausforderung für Beate Klöckner & Tanja Frank » Text & Blog – Das Weblog von Markus Trapp

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